So ein Käse: Die Almkäseolympiade in Galtür
Jeden Sommer treten in Galtür die besten Bergkäse-Sorten aus unterschiedlichen Alpenländern gegeneinander an. Wir besuchen einen Tiroler Lokalmatadoren beim Training auf der Alm – und begleiten ihn dann zur 27. Almkäse-Olympiade. Möge der Beste gewinnen!
Die Luft ist klar und kühl, am noch blassblauen Himmel ist keine Wolke zu sehen, ein prächtiger Spätsommertag kündigt sich an in Galtür, ganz hinten im Tiroler Paznaun. Doch Benni Schmidhofer interessiert das schöne Wetter nicht, er wäre lieber in der Mehrzweckhalle mit ihrem kalten Neonlicht geblieben. Dort, wo sein Käse ist. Soeben hat er dessen mikrobiologisches Untersuchungszeugnis vorgelegt, die Registrierungsbestätigung entgegengenommen und ihm ein letztes Mal über die Rinde gestreichelt. Dann hieß es: Bitte draußen warten. Ein paar Minuten bleibt er trotzdem noch, beobachtet aus dem Hintergrund still die anderen Käser bei der Registrierung ihrer Laibe. Dann reißt er sich los und steuert auf den Ausgang zu. Ab jetzt ist sein Käse auf sich allein gestellt.
Sechs Stunden später darf er die Halle wieder betreten. Die Jury hat sich da bereits festgelegt, wer bei der 27. Internationalen Almkäseolympiade eine Medaille holen wird. Ob er auch zu den Gewinnern zählt, wird Schmidhofer jedoch erst am Abend bei der Siegerehrung erfahren. Der 27-Jährige kennt den eine oder andere Gesicht von seiner Ausbildung zum Käsemeister. Vielleicht verrät ihm ja ein verstohlenes Augenzwinkern, ob er sich Hoffnungen machen kann? Da spricht ihn einer der Juroren an. Ob der Sommer bei ihm auf der Alm auch so schlecht gewesen sei? „Wir hatten dieses Jahr viele bittere, säuerliche Käse“, sagt der Experte. „Ja, der Sommer war oft nass und kalt“, antwortet Schmidhofer – und plötzlich stehen ihm die Anstrengungen der vergangenen vier Monate ins Gesicht geschrieben. Jeden Tag hat er mit seinem Team geschuftet, manchmal zwölf Stunden und länger. Aber gegen schlechtes Wetter kommt auch der beste Käser schwer an. Regnet es viel, sinkt der pH-Wert des Bodens. Das lässt Unkraut und Sauerampfer sprießen, wodurch auch die Milch säuerlicher wird. Ist es zu kalt, werden auch die Mikroorganismen träge – der Käse reift schlechter und das Aroma entwickelt sich nicht. Probleme, die Schmidhofer fürchten gelernt hat. Aber er hatte ja noch ein Ass im Ärmel.
Geheimer Kräuter-Hotspot
Ein paar Monate zuvor auf der Holzalm in der Wildschönau: Schmidhofer macht keinen großen Hehl daraus, wo sich die „Geheimzutat“ befindet, die ihm in Galtür eine Medaille einbringen soll. Wohl, weil er weiß, dass es unmöglich ist, sie zu stehlen. Er hat sie am äußersten Rand der Alm entdeckt, unterhalb eines Bergsattels auf rund 1.500 Metern. Nur ein paar Schritte entfernt liegt ein beliebtes Wanderziel, das sogenannte „Halsgatterl“, an dem eine hübsche Kapelle steht und zwei Holzfiguren an die Wildschönauer Ursprungssage erinnern. Der Erzählung nach fielen sich hier oben ein Mann aus Wildschönau und eine Bäuerin aus dem Brixental um den Hals, nachdem ein Drache alle anderen Menschen im Hochtal getötet hatte. Die heutige Bevölkerung der Wildschönau stammt, so heißt es, nur von den beiden ab. Aber der im Zillertal geborene Schmidhofer ist nicht hier, um den Fremdenführer zu spielen. „Hier haben wir das optimale Verhältnis von Gräsern und Kräutern“, sagt Schmidhofer, während er eine Handvoll Grün ausrupft, um daran zu riechen. Die steile, nach Süden ausgerichtete Vertiefung hat er deshalb „Galtür-Senke“ getauft. Hier sollen die 163 Milchkühe der Holzalm für zwei Tage hoch und sich ihre vier Mägen mit Kräutern, Gräsern und Bergblumen vollschlagen. Die Milch, die sie an diesen Tagen geben werden, wird besonders reich an Omega-3-Fettsäuren sein. Aus ihr wird Schmidhofer seinen Galtür-Käse machen.
Die Internationale Almkäseolympiade findet jedes Jahr an einem der letzten Septemberwochenenden statt. Für viele Sennerinnen und Senner ist sie zugleich Abschluss und Höhepunkt der Almsaison. Zwei Tage lang geht es dann in dem kleinen Ort Galtür um nichts anderes als Käse. Mehr als 3.000 Besucherinnen und Besucher zieht das Spektakel jedes Jahr an, über 100 Almen aus Österreich, der Schweiz, Liechtenstein, Deutschland und Italien schaffen ihre Schätze aus den Reifekellern in die Mehrzweckhalle am Ortsrand, um sich zu messen. Die Teilnahmevoraussetzungen sind streng: Nur Rohmilchkäse aus der eigenen Almwirtschaft ist zugelassen. Eine internationale, dreißigköpfige Jury richtet über Lochung und Teigfarbe, Konsistenz und Geschmack – und nur wer in allen Punkten überzeugen kann, bekommt eine der begehrten Goldenen Sennerharfen verliehen.
Jede Disziplin hat ihre Eigenheiten
Dabei ist die Almkäseolympiade mehr als Qualitätsbewertung denn als Rennen gemeint, sagt Dr. Klaus Dillinger, der an der auf Milchwirtschaft spezialisierten Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt (HBLFA) in Rotholz Forschungsleiter ist und die Veranstaltung seit ihren Anfängen begleitet. In jeder Disziplin gibt es nicht nur drei Plätze auf dem Treppchen. Stattdessen wird jeder Käse mit Gold, Silber oder Bronze prämiert, der die festgelegten Qualitätsanforderungen erfüllt, weshalb es in jeder Kategorie mehrere Medaillengewinner geben kann. Doch betrachtet man die Ergebnisse der letzten Jahre, stehen die Chancen, Gold zu holen, trotzdem nur bei eins zu zehn.
Um die Käse so objektiv wie möglich vergleichen zu können, teilt man sie in Galtür in siebzehn verschiedene Gruppen: Von Weichkäse über jungen oder alten Bergkäse bis hin zu Käse mit Kräutern oder andere Zutaten. Wie bei den Olympischen Spielen auch hier jede Disziplin ihre Eigenheiten und Herausforderungen. Während etwa die Kategorie „Käse mit Zutaten“ einem Zehnkampf gleicht, weil man ständig und über einen langen Zeitraum neue und möglicherweise lohnende Kombinationen ausprobieren muss, gleicht die Kategorie „Bergkäse alt“ dem Turnen, wo absolute Konzentration gefordert ist: „Je länger ein Käse reift, desto stärker die Fehlerausreifung“, sagt Dillinger. Deshalb gilt der Bergkäse auch als die Königsdisziplin. Für Schmidhofer und die Holzalm hat es im vergangenen Jahr schon mal für eine silberene Auszeichnung in der Kategorie Schnittkäse gereicht. Er ist stolz auf die Auszeichnung. Nicht zuletzt deshalb, weil er sich ausgerechnet in der Disziplin beweisen konnte, die sonst von den Schweizern dominiert wird. „Der Einzige zu sein, der die Schweizer ein bisschen ärgern konnte – das war schon genial“, sagt er. Aber Schmidhofer ist ehrgeizig. Wer die Silbermedaille hole, sagt er, sei für ihn der erste Verlierer.
Mit neunzehn Jahren war Schmidhofer einer der jüngsten Käsemeister Österreichs. Er absolvierte zahlreiche Praktika, ging bis nach Paraguay, um dort in einer Käserei zu arbeiten. Und er verbrachte ein Jahr in Toggenburg in der Schweiz, wo er beim siebenfachen Käseweltmeister Willi Schmid lernte. Seine Chancen stehen also nicht schlecht – wenn das Wetter mitspielt und auch sonst nichts schiefgeht. „Ob ein Käse gelingt, liegt zu fünfzig Prozent an der Milch“, sagt Schmidhofer. „Und wenn der Sommer schwierig ist, musst du als Käser doppelt so viel geben.“
Denken wie die Milch
Zurück auf der Holzalm: Gerade hat Schmidhofer ein Prozedere begonnen, das er innerhalb einer Almsaison Hunderte Male absolviert: In die hohen, weißen Gummistiefel schlüpfen, durch das niedrige Becken mit Chlorwasser waten, Hände waschen und desinfizieren. Erst dann öffnet sich die Tür zu seinem Reich: der Käserei. Fragt man Schmidhofer nach dem Geheimnis eines guten Käses, spricht er viel von seiner Zeit bei Willi Schmid, den er als den „Mozart der Käser“ betitelt. Von ihm habe er gelernt, „zu denken wie die Milch“: „Würde ich es als Milch mögen, stundenlang durch die Gegend gepumpt zu werden? Eher nicht.“ Der schonende Umgang mit dem Ausgangsprodukt sei der Schlüssel zum Erfolg. Es dürfte einer der Gründe sein, weshalb Schmidhofer als Käser auf der Holzalm angefangen hat. 2020 hat die Alm eine neue Käserei bekommen und wenn Schmidhofer ihre technischen Feinheiten erläutert, klingt es ein wenig so, als wäre er Bademeister in einem Spa für Milch. Der Kuhstall inklusive Melkstand liegt etwas höher als die Käserei und ist mit ihr über eine unterirdische „Rutsche“ verbunden. „Die Milch ist in wenigen Minuten und ganz ohne Pumpen bei mir in der Käserei“, sagt Schmidhofer. Dort angekommen, geht die Wellness-Behandlung weiter: Schonendes, gleichmäßiges Erhitzen, zwei Käsekessel, die extra auf Podeste gebaut wurden, damit der Käsebruch später über das Gefälle in tiefer liegende Formen fließen kann. Ein metertiefes Solebecken, in dem die fertigen Laibe auf Tauchgang gehen und für das Schmidhofer nur bestimmte Salze verwendet.
Wie beim Wein benötigt man auch für die Herstellung von Käse die richtige Mischung aus nützlichen Bakterien: Erst sie lassen den Käse reifen und sind für das Aroma verantwortlich. Um einen bestimmten Geschmack zu erzeugen, wird in der konventionellen Käseproduktion auf vorproduzierte Starterkulturen zurückgegriffen, die meist in Form von feinen, weißen Pulvern bei Händlern erhältlich sind. Schmidhofer aber ist ein Tüftler, der ständig auf der Suche nach einer neuen, besseren Methode ist. Um seinem Käse einen einzigartigen Charakter zu geben, züchtet er die für das Aroma verantwortlichen Bakterienkulturen teilweise selbst. Mehr Details verrät er nicht. „Das sind die Unterhosen des Käsers“, sagt er. Die Herausforderung: Zwischen der ersten Idee und dem Moment der Wahrheit – wenn er den Käse aufschneidet – vergehen Monate, manchmal sogar Jahre. Der lange Zeithorizont ist auch der Grund, weshalb die Herstellung von Rohmilchkäse so herausfordernd ist. Auch der kleinste Fehler kann über die Dauer der Reifung ruinöse Folgen für den Käse haben. Sind etwa zu viele „wilde“ Bakterien in der Milch, entstehen Fehlaromen, der Käse wird rissig oder bekommt Löcher. Als Käser reicht es deshalb nicht aus, mal einen guten Tag zu haben. Damit ein Käse gelingt, muss von dem Augenblick, in dem die Milch das Euter der Kuh verlässt, bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Käse fertig gereift ist, genauestens gearbeitet werden. Deshalb ist Schmidhofer auch der Teamgedanke beim Käsen wichtig. „Du kannst der beste Käser der Welt sein“, sagt Schmidhofer. „Wenn im Melkstand nicht sauber gearbeitet wird, wird auch der Käse nichts.“ Auf der Holzalm hilft ihm sein 18-jähriger Lehrling Anton in der Käserei und Simon und Florian, beide Anfang 20, kümmern sich um das Versorgen und Melken der Kühe. Sie sind wohl das jüngste Team, das in Galtür antritt.
An dem Morgen, an dem Schmidhofer den Käse für Galtür herstellt, ist er wie sonst auch um fünf Uhr in der Käserei. Er riecht an der frisch gemolkenen Milch, versucht, einzelne Aromen zu identifizieren und seine Bakterienkulturen darauf abzustimmen. Sobald die Milch im Kupferkessel 42 Grad erreicht, legt sie dann los, „seine Kompanie“, wie Schmidhofer die Kulturen nennt. Auf der Oberfläche der Milch bildet sich ein dichter Schaum, was für ihn das Zeichen ist, dass er bis dahin alles richtig gemacht hat. Aber reicht das? Ein Käselaib, sagt Schmidhofer, sei wie ein Mensch. „Der hat auch gute und schlechte Tage – und genauso kann ein Käse mal nicht so gut sein und im nächsten Monat plötzlich der Beste.“ Ob ihm das Käsen an diesem Tag gelungen ist, wird Schmidhofer also erst Monate später erfahren.
Der Moment der Entscheidung
In dem Moment, in dem der Holzalm-Käse zum ersten Mal angeschnitten wird, ist Schmidhofer nicht anwesend. 106 Almen haben sich mit 249 Laib Käse registriert. Die Prüfung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Holzalm hat jeweils einen Käse in den Kategorien Bergkäse alt und jung, Schnittkäse mit zwei unterschiedlichen Fettgehalten und Käse mit Kräutern ins Rennen geschickt.
Um 20.30 naht der Moment der Entscheidung: Im Sport- und Kulturzentrum Silvretta spielt die Bläsertruppe „Men in Blech“. Aber so richtig ausgelassen ist die Stimmung nicht. Zu ungeduldig und nervös rutschen die Sennerinnen und Senner auf den Bierbänken herum, warten auf die Verkündung der Ergebnisse. Dann wird endlich die erste Kategorie aufgerufen, an der die Holzalm teilgenommen hat: Käse mit Kräutern. Der Moderator verkündet, dass es dieses Jahr keine Bronzemedaillen gibt. Dafür fünf Mal Silber, aber auch hier ist die Holzalm nicht dabei. Als sie dann schließlich doch genannt werden, als Goldmedaillengewinner, explodiert der Tisch in der letzten Reihe förmlich. Monatelang haben sie auf diesen Erfolg hingearbeitet, am Käse getüftelt, ihn gehegt und gepflegt – stets in dem Wissen, dass eine Unachtsamkeit bei der Herstellung den ganzen Laib ruiniert. Am Ende des Tages holt die Holzalm zweimal Gold, einmal Silber und einmal Bronze. Am nächsten Tag werden Schmidhofer, Anton, Florian und Simon schon wieder zurück auf der Alm sein. Die Kühe sind zwar längst im Tal, aber die Käserei muss grundgereinigt und winterfest gemacht werden. Denn jeder von ihnen weiß: Wer wegen einem Kater von der Siegesfeier schludert, wird bei der Almkäseolympiade im nächsten Jahr schlechte Chancen haben.