Axamer Wampelerreiten: Kleine Wampeler ganz groß
Beim Axamer Wampelerreiten am Unsinnigen Donnerstag wird symbolisch der Winter bezwungen. Und dabei geht es durchaus ungestüm zu. kultur.tirol hat sich das wilde Treiben aus der Nähe angeschaut.
Text: Julia Tapfer
Bild: Axel Springer
Die Kirchturmuhr in Axams hat gerade halb elf geschlagen. Der Viertklässler Lukas Auer sitzt aber nicht mehr in seiner Klasse, sondern steht im Stadel des benachbarten Bauern. Er trägt ein großes, weißes Leinenhemd, die sogenannte Leinenpfoat, unter die zwei Männer mit gekonnten Handgriffen Heu schoppen. Lukas lässt sich ohne Murren nach vor und zurück zerren und verwandelt sich langsam in einen Wampeler. „Wenn man unter der Pfoat einen dünnen Pullover anhat, dann kratzt das Heu nicht so sehr“, weiß Lukas aus Erfahrung und schmunzelt. Mit seinen zehn Jahren ist er heuer schon das zehnte Mal bei einem Unsinnigen Donnerstag in Axams als Wampeler dabei. Schon als Baby hat ihn sein Vater im Kinderwagen in einen kleinen Wampeler verwandelt. Die Begeisterung für den traditionellen Tiroler Fasnachtsbrauch wurde Lukas somit schon in die Wiege gelegt.
Seit 2017 ist Patrick Auer, Lukas' Vater, Obmann des Axamer Fasnachtsvereins. Alle vier Jahre findet der große Umzug am Sonntag nach dem Unsinnigen Donnerstag mit mehreren Tausend Besuchern statt. 2019 ist es wieder soweit. Mit der Planung haben die Axamer bereits jetzt begonnen. Das traditionelle Wampelerreiten wird in Axams aber nicht nur beim großen Umzug, sondern auch in den Jahren dazwischen am Unsinnigen Donnerstag ausgetragen. „Dieses wilde Treiben ist gewissermaßen der Fasching fürs Dorf. Beim großen Umzug geht es auch darum, unser Brauchtum nach außen zu präsentieren“, erklärt Obmann Patrick Auer.
Den Winter austreiben
Wie in anderen Tiroler Fasnachten auch, geht es beim Wampelerreiten um das Austreiben des Winters. Der Wampeler symbolisiert mit seiner weißen Leinenpfoat den Winter. Mit seiner ausgestopften Wampe geht er nach vorn gebückt in einem tänzelnden Schritt durchs Dorf. Die Reiter wollen ihn bezwingen, indem sie ihn mit einem gekonnten Griff auf den Rücken werfen. Allerdings gibt es dabei auch klare Regeln. Steht ein Wampeler mit dem Rücken zu einer Hauswand, darf er nicht angegriffen werden. Überhaupt sind Angriffe nur von hinten erlaubt, ansonsten darf sich der Wampeler mit seinem Stock wehren. „Wenn sich die Reiter aber an die Regeln halten, kommt der Stock nicht oft zum Einsatz“, erklärt Lukas beschwichtigend. Wenn der Angriff des Reiters glückt und der Wampeler auf dem Rücken liegt, hat er ein Ganzes bekommen. Ziel der Wampeler ist es, den Umzug, der zweimal durchs Dorf führt, mit möglichst weißem Rücken zu überstehen. Der Wampeler mit der saubersten Pfoat wird nämlich am Abend im Gasthaus zum Sieger gekürt.
Inzwischen ist Lukas' Wampe fertig mit Heu ausgestopft und sein Patenonkel Günther zurrt ein Band um die Hüfte des Zehnjährigen, damit das Heu später nicht verrutscht. Auch vorne am Ärmel wird mithilfe eines Klebebands das Heu fixiert. Nachdem Lukas in seinen roten Lodenkittel gehoben wurde – sich selbst zu bücken und anzuziehen ist mit der ausgeschoppten Wampe nicht mehr möglich –, fehlt nur noch der Lederriemen um den Bauch. Mit vereinten Kräften wird auch dieser festgezogen und die Verkleidung des kleinen Wampelers ist komplett. „Wenn man jetzt nach dem Ausschoppen auf den Rücken geworfen wird, tut es nicht so weh, weil man geschützt ist. Wichtig ist aber, dass der Buckel hoch genug ist, sonst könnte man sich am Kopf verletzen“, gibt Lukas zu bedenken.
Die Axamer Laniger
Die Wampeler und Reiter sind aber nicht die einzigen Axamer Fasnachtsfiguren. Unter den Lanigern, wie die Fasnachter in Axams heißen, gibt es etwa auch Buijazzl, Flitscheler, Tuxer und altboarische Paarln. „Das Besondere bei unserer Fasnacht ist, dass auch Frauen mitmachen und sich verkleiden dürfen“, erklärt Obmann Patrick Auer. Das ist in der Tat bei den urigen Tiroler Fasnachtsbräuchen eher selten. Meist ist das Verkleiden und Teilnehmen am Umzug ausschließlich den Männern vorbehalten. Ausnahmen gibt es aber auch in Axams: Wampeler, Reiter und Tuxer sind ausschließlich Männer.
Beim Axamer Fasnachtsumzug darf jeder selbst entscheiden, welche Figur er oder sie verkörpern möchte. Man meldet dies einfach dem „Bodentruppenbeauftragten“, den es für alle Figuren gibt und der für die Organisation zuständig ist. Einige Masken und Kostüme stehen im vereinseigenen Kostümverleih bereit. „Die meisten Axamer haben aber selbst Masken zu Hause. Die werden in der Familie weitergegeben“, so Patrick Auer. Alle Masken sind aus Holz handgefertigt und werden im Stil nicht mehr verändert. „Jede Larve hat einen bestimmten Typ, zum Beispiel ein stilisiertes Gesicht eines jungen Mannes“, beschreibt der Obmann. In Axams beherrschen noch drei Schnitzer die Kunst des Maskenschnitzens. Für eine eigene Maske greifen Fasnachtsliebhaber durchaus tief in die Tasche: 300 bis 500 Euro geben sie für eine traditionelle Larve aus.
„Ich bin ein Wampeler und bleib' das .“
Patrick Auer hat selbst schon verschiedene Figuren beim Fasnachtsumzug im Dorf verkörpert. Sein Sohn sagt aber ganz bestimmt: „Ich bin ein Wampeler und bleib' das auch.“ Warum er sich – zumindest derzeit – noch nicht vorstellen kann, sich als eine andere Lanigerfigur zu verkleiden, erklärt Lukas so: „Eine andere Figur kann dir einfach nicht das Gleiche bieten wie der Wampeler. Das ganze Augenmerk von Axams ist auf den Wampeler gerichtet.“ Am Fasnachtsbrauch gefällt dem Volksschüler vor allem das Rollenspiel zwischen Winter und Frühling. Aber es macht ihm auch Freude, die Tradition weitertragen zu können.
„Wenn unsere Kinder das Brauchtum weiterleben, stirbt unsere Fasnacht nicht aus“, sagt auch der Obmann, der besonders stolz auf die Echtheit des Axamer Wampelerreiten ist. Nicht ohne Grund wurde dem Verein deshalb vor zwei Jahren die UNESCO-Auszeichnung zum immateriellen Kulturerbe Österreichs verliehen. Am Wampelernachwuchs mangelt es den Axamern nicht. 25 Kinder nehmen heuer am Umzug teil, die meisten sind schon sehr aufgeregt. Auch Lukas gibt zu, ein bisschen nervös zu sein. „Aber sobald es losgeht, ist es nicht mehr so schlimm. Dann hat man einfach gemeinsam Spaß“, freut er sich.
Die Axamer Kirchturmuhr schlägt 13 Uhr. Pünktlich beginnt am Dorfplatz der Umzug – das Publikum hat sich schon gespannt versammelt. Jeder versucht, möglichst weit vorne einen Platz zu erhaschen, um die Laniger aus der Nähe zu sehen. Nach dem Einschnöllen der Tuxer und einem Tänzchen mit ausgewählten Damen aus dem Publikum beginnt das Wampelerreiten. Die Kinder machen den Anfang und kommen recht rasch voran. Wampeler und Reiter schenken sich aber nichts und so liegen auch bei den Kleinen schon bald die ersten auf der Straße.
Das folgende Wampelerreiten der Erwachsenen wirkt für manche Außenstehende durchaus befremdlich. Hier wird alles andere als zimperlich miteinander umgegangen und schon nach zehn Minuten muss der erste Wampeler wegen einer Platzwunde auf der Stirn verarztet werden. Währenddessen streiten sich die anderen lautstark, ob ein Regelverstoß vorliegt oder nicht. Kaum ist die Wunde auf der Stirn des Wampelers mit einem Pflaster zugeklebt, wischt dieser sich nur notdürftig das Blut aus dem Gesicht und wirft sich wieder ins Getümmel. Für das Aufrechterhalten ihrer Tradition nehmen die Axamer so einige blaue Flecken und Abschürfungen in Kauf. Auch ein Nasenbruch könne schon mal vorkommen, aber insgesamt gehe es heute schon etwas ruhiger als früher zu, meint der Obmann und fügt hinzu: „Alles mit Maß und Ziel.“
Die Anstrengung während des Umzuges ist vor allem den Wampelern ins Gesicht geschrieben. Tapfer halten sie aber auch die zweite Runde durchs Dorf durch. Bis zum Betläuten am Abend ist das Spektakel vorbei. Dann setzen sich die erwachsenen Wampeler und Reiter ins Gasthaus. Es ist Tradition, dass jene Reiter, die einem Wampeler ein Ganzes gegeben haben, nun mit ebendiesem ein Schnapsl trinken. So lassen die Axamer die Raufereien und Streitereien des Nachmittags hinter sich und stoßen zusammen auf die Gemeinschaft an. Dieser Zusammenhalt im Dorf ist das, was sowohl Patrick Auer als auch sein Sohn Lukas so an der Tradition schätzen: „Jeder hilft mit und man hat einfach Spaß zusammen“, sagt der zehnjährige begeisterte Wampeler und freut sich schon auf den großen Umzug im nächsten Jahr.
