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Walther Parson: Kulturgeschichte aus dem DNA-Labor
Dass einige lebende Tiroler direkt von Ötzi abstammen und in Friedrich Schillers Grab gar nicht der deutsche Dichter liegt, sind nur einige der Kuriositäten, die am Innsbrucker Institut für Gerichtliche Medizin entdeckt wurden. Wir haben mit dem Forensiker Walther Parson über die Rätsel der Geschichte gesprochen.
Grundsätzlich forschen Sie an Kriminalfällen, nebenbei lösen Sie aber auch so manches historische Rätsel. Einer der berühmtesten dieser „Celebrity Genetics Fälle“ drehte sich um Wolfgang Amadeus Mozart. Was hat Ihnen an dessen Schädel Kopfzerbrechen bereitet?
Rund um Mozarts 250. Geburtstag sollten wir klären, ob der „Mozart-Schädel“, den die Internationale Stiftung Mozarteum aufbewahrt, tatsächlich von ihm stammt. Zuerst wurden wir nach Salzburg eingeladen, um den Schädel dort zu beurteilen. Aber wir können solche Untersuchungen nur im gesicherten Umfeld unseres Labors machen. Der Schädel wurde also mit einem Sicherheitstransport nach Innsbruck gebracht. Wir haben hier zwei Zähne entnommen, einen für die Analyse hier und einen für die Zweitanalyse in den USA. Die Zähne wurden später von einem Restaurator wieder eingesetzt.
Und womit werden die Proben dann verglichen?
Klassischerweise mit heute lebenden Personen. Wenn es – wie bei Mozart – keine lebenden Personen gibt, die in direkter Linie abstammen, dann wendet man sich an Genealogen. Diese rekonstruieren den Stammbaum und ermitteln Gräber, wo verwandte Personen liegen. Bei Mozart gibt es nur mehr sehr wenige davon und die Personen, die im Mozartgrab in Salzburg liegen, sind weder mit dem „Mozart-Schädel“ noch miteinander verwandt. Wir wissen also nicht, ob der Schädel von ihm stammt. An der Stelle, wo sein Vater Leopold bestattet sein sollte, lag sogar ein weibliches Skelett.
Wie kann denn so etwas passieren?
Der Hauptgrund liegt wohl darin, dass wir Menschen uns an Reliquien klammern. Je älter eine Probe ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Zuge einer Umbettung oder Restaurierung vertauscht wurde. Im ausgehenden 18., beginnenden 19. Jahrhundert war die Pseudowissenschaft der Phrenologie en vogue. Ihre Anhänger glaubten, dass sich die Hirnregionen, die für gewisse Eigenschaften verantwortlich sind, in der Schädeldecke abbilden. Sie haben Schädel gesammelt wie Briefmarken. Ich stelle mir vor: Wenn sich die Gelegenheit ergab, einen Schädel auszutauschen, nur um an das Original zu kommen, hat man das offensichtlich gemacht. Im Falle von Friedrich Schiller gab es zwei Skelette, die für die Analyse infrage kamen. Bei einem davon haben wir Knochen von mindestens drei verschiedenen Personen gefunden. In dessen Grab liegt definitiv nicht der richtige Friedrich Schiller.
Zur Person
Der Tiroler Molekularbiologe und Forensiker Walther Parson entwickelt neue Methoden zur DNA-Analyse und wird bei schwierigen Kriminalfällen zurate gezogen. Selbst das FBI bittet den mehrfach ausgezeichneten Wissenschaftler regelmäßig um seine Expertise, da er und sein Team auch stark zerstörte DNA entschlüsseln können. Am bekanntesten sind die Celebrity Genetics – Untersuchungen an längst verstorbenen historischen Persönlichkeiten.
Bei der 1917 ermordeten Zarenfamilie Romanow lagen die Dinge anders. Deren Identität konnten Sie zweifelsfrei nachweisen. Woher kam damals die Vergleichsprobe?
Vom kürzlich verstorbenen Prinz Philip, er ist in mütterlicher Linie mit der Zarin verwandt. Das Günstige bei Adelsgeschlechtern ist, dass sie einen sehr gut dokumentierten Stammbaum haben. Je weiter dieser zurückgeht, desto besser für uns.
So wie bei Ötzi? Sie konnten am Institut ja nachweisen, dass 19 heute lebende Tiroler direkt mit dem Mann aus dem Eis verwandt sind.
Das Prinzip ist dasselbe – es sind ungefähr 200 bis 250 Generationen –, aber in dem Fall war es ein klassischer Zufallsbefund. Wir haben ein Forschungsprojekt zur Besiedelung des Alpenraums durchgeführt und dafür rund 4.000 anonymisierte Blutproben ausgewertet. Dabei haben wir nach DNA gesucht, die der Vater nur an den Sohn weitergibt. Im Tiroler Erbsystem bekommt jeweils der älteste Sohn den Hof, also bleibt auch das Y-Chromosom dort. Im oberen Inntal – zwischen Reschenpass und Landeck – haben wir Y-Chromosomen gefunden, die vor 8.000 Jahren dorthin gekommen und dort geblieben sind. Eine Linie geht zum Beispiel von Fließ über den Piller Sattel ins Ötztal. In Landeck findet man diese Linie nicht, weil es damals nicht besiedelt war.
Und wie kommt die Gletschermumie hier ins Spiel?
Zur selben Zeit wurde die DNA von Ötzi publiziert. Sie weist einige Schlüsselmutationen auf, die sogenannten Ötzimutationen. Bei 19 Tirolern fanden wir dieselben Eigenschaften. Es hat enormes Medieninteresse geweckt, und es gab Leute, die dachten, selbst mit Ötzi verwandt zu sein, weil sie gerne Hafer essen, oder die fanden, ihr Nachbar sieht aus wie Ötzi … das war total kurios.
Nicht nur eine mögliche Verwandtschaft mit Ötzi beschäftigt die Menschen. Was antworten Sie jemandem, der wissen will, ob er oder sie von einer bestimmten Familie abstammt?
Was Menschen an DNA-Analysen oft unterschätzen, ist: Sie müssen mit dem Ergebnis leben. Sie denken vielleicht seit 40 Jahren daran und betreiben dahingehend Ahnenforschung. Mit der DNA-Analyse ist diese Geschichte dann meistens zu Ende.
Vielen Dank für das Gespräch!