Poetry Slam in Tirol: Po-Po-po-Poetry?!
Innsbruck ist die Wiege des Poetry Slam in Österreich und die Szene wächst nach wie vor. Die Slam-Pioniere Markus Köhle und Stefan Abermann erzählen von den Anfängen.
Text: Haris Kovacevic
Ein schriller Ton, der an einen schlechten Sci-Fi-Film erinnert, geht durch den Raum, bevor Moderator Markus Köhle (alias Papa Slam) zum Mikro tritt und das Publikum willkommen heißt. Von einem Moment auf den anderen herrscht Stille. Papa Slam stellt seine obligatorische Frage, wer zuvor noch nie bei einem Poetry Slam war. Einige Hände gehen nach oben, die Markus sogleich mit dem Hinweis sinken lässt, dass man nicht in der Schule, sondern bei einem Poetry Slam sei und dass Meldungen jeglicher Art nur akustisch zu machen sind. Sofort sind erste Schreie und Lacher zu hören. Das Publikum vertraut Markus, er scheint zu wissen, was er tut.
Nach dem ebenfalls obligatorischen: „Schämt euch, in Innsbruck zu leben und noch nie bei einem Slam gewesen zu sein!“, folgt auch eine kurze Erklärung, die jeder Zuhörer, egal wie oft er schon dabei war, zu hören bekommt: Poetry Slam ist ein Wettlesen um die Gunst des Publikums. Poetinnen und Poeten tragen vor: Inhalt und Darbietungsweise werden bewertet. Der Poet oder die Poetin hat fünf Minuten Zeit, darf nicht singen oder Hilfsmittel verwenden. Im ersten Durchgang treten alle auf, im Finale nur noch die Besten. Wer das sein soll, bestimmt das Publikum.

Poetry-Pionier Stefan Abermann mit einem Text über Bergkamerdschaft.
Von Chicago nach Tirol
In den 1970er Jahren organisierte Mark Kelly Smith in einer Kneipe in Chicago die ersten Poetry Slams. Herkömmliche Lesungen waren dem Arbeiterkind zu unnahbar, die Autoren zu abgehoben. Der Tisch und das Wasserglas mussten weg. Auf die nackte Bühne kam nur ein Mikro. Jeder durfte dort „Poetry“ präsentieren, und das Publikum sollte entscheiden, welcher Text der beste war. Die Idee war simpel, genial, und sie funktionierte so gut, dass sie Mitte der 1990er Jahre in den deutschsprachigen Raum überschwappte. In Berlin, München und Hamburg fanden die ersten Poetry Slams statt.
Markus Köhle war als junger Student von einem Slam in Hamburg so begeistert, dass er entschied, das Gleiche in Innsbruck zu veranstalten. Damit war 2002 der Innsbrucker BPS (Bäckerei Poetry Slam, zuvor Bierstindl Poetry Slam) geboren, der bis heute an jedem letzten Freitag im Monat stattfindet und zahlreiche Poetinnen und Poeten anzieht. Tirols Hauptstadt ist damit die Wiege des Formats in Österreich.
Die Anfänge in Innsbruck
Einer der Ersten auf der Bühne war Stefan Abermann, ein Urgestein der Szene, Slammer, Organisator und Moderator: „Wir waren damals verkappte Studenten, die mit literarischen Mustern an die Sache rangegangen und oft gescheitert sind. Doch wir fanden es alle spannend, unsere Texte zu präsentieren und uns auszuprobieren.“ Poetry Slam und jegliche Art der mündlichen Literatur waren den jungen Innsbruckern unbekannt und Slam ein Format, bei dem man experimentieren konnte. Manchmal verlief das gut, manchmal schlecht, doch das Publikum schien Spaß zu haben. Der Innsbrucker Slam wurde schnell zu einer Marke in der Stadt.
Am Anfang wird man durch die kleinen Rituale geführt: Immer wenn Modertor Köhle das Gefühl hat, er müsse sein Publikum wieder zum Slam holen, stellt er die Frage „Po-po-po-Poetry?“ „Slam“, hört man zunächst die Stammgäste rufen. Beim zweiten Mal stimmen alle mit ein. Wenn es beim Lesen zu einer Stelle kommt, die, „auf der Titanic vorgelesen, den Eisberg hätte zum Schmelzen bringen können“, dann solle man dem Poeten mit einem mitleidigen „Ooooh!“ Tribut zollen. Falls eine Flasche oder ein Weinglas zu Boden fällt und zerklirrt (und nur dann), muss es der Bar mit einem ironisch-pathetischen „Ojeeee!“ mitgeteilt werden.
Ruhm, Ehre und eine Flasche Bier
Im Finale wird ein Jutebeutel durch das Publikum gereicht, in dem Spenden und Geschenke für den Sieger gesammelt werden: „Alles Mögliche kann man dort finden“, sagt Stefan und erinnert sich an die Golfbälle, Plüschtiere und Bücher in kyrillischer Schrift, die er dort schon herausholen durfte. Preise gibt es ansonsten keine zu gewinnen. Nur Ruhm, Ehre und eine große Flasche Tiroler Bier, die mit allen anderen Poeten freundschaftlich geteilt wird. Anschließend gibt es eine After-Show-Party, die meistens genug Schreibmaterial für weitere vier bis sechs Texte liefert.
Stefan Abermann ist Buchautor und kennt auch die klassische Literaturszene: „Für Poetry Slam schreibt man anders, schließlich wird der Text vorgelesen und muss daher anders aufgebaut sein. Komplizierte Stüberltexte kommen meistens nicht gut an, und Leute, die das nicht verstehen, gehen enttäuscht nach Hause. Hinzu kommt die Performance und die Laune des Publikums und, und, und... Es spielen so viele Faktoren mit, dass man krank wird, wenn man den Wettbewerb ernst nimmt.“
Literatur, die süchtig macht
Diese Art der Literaturveranstaltung mache einen süchtig, sagt Stefan: „Der direkte Kontakt mit dem Publikum ist einzigartig. Wer so etwas erlebt, kann dann kaum noch die Finger davon lassen, und selbst, wenn es schlecht war, entwickeln einige den Ehrgeiz, irgendwann gut zu werden.“ Abermann trat die ersten zwei Jahre im Bierstindl auf, ohne ein einziges Mal ins Finale zu kommen. „Ich brauchte lange, um zu kapieren, wie ich den Zugang zum Publikum herstellen kann, doch es hat sich gelohnt. Ich hatte rückblickend mehr gute als schlechte Auftritte“, sagt der Innsbrucker Slammer lachend.
Mit der Zeit hat sich der Erfolg eingestellt und Stefan wurde auch auf andere Slams eingeladen. Ein Ereignis wird ihm dabei besonders in Erinnerung bleiben: Als ihn sein Vater 2007 nach Dornbirn begleitete, trat dort die legendäre Poetry-Slam-Gruppe SMAART als Zugabe auf. Mit ihrem Text „Die Entstehung der Musik“ brachten sie die Menge dermaßen zum Toben, dass man das Gefühl hatte, bei einem Rockkonzert zu sein. „Als wir heimfuhren, sagte mein Vater, von der Atmosphäre beeindruckt: ‚Bua, i hab gar net g’wusst, dass du so was Cooles mochsch!‘“
Grundregel: Respect the poets!
Der Wettbewerb steht tatsächlich im Hintergrund und ist für das Publikum meist wichtiger als für die Auftretenden. Angst vor einer Blamage braucht man nicht zu haben. Die erste Regel lautet nämlich: Respect the poets! Einen Applaus verdient jeder, der sich auf die Bühne traut. Mit den anderen Slammerinnen und Slammern kommt man leicht in Kontakt, und es bauen sich schnell(lebige) Freundschaften auf. Die Szene zeichnet sich durch eine oberflächliche Tiefe aus: Es wird oft von der Slamily gesprochen, gegrüßt wird mit einer Umarmung.
„Im Backstagebereich von Poetry Slams trifft man alles Mögliche, von Hinz bis Kunz“, sagt Stefan. Einige bedienen eher die Storyteller-Schiene, während andere Lyrik schreiben, so breit gefächert, wie Literatur allgemein ist, sind auch die Beiträge auf Slambühnen, erklärt Markus: „Als Organisator ist es mir wichtig, dass ich Menschen, die schreiben wollen, eine Plattform biete, ihre Texte zu präsentieren. Für Comedy gibt es andere Bühnen, und für Singen auch.“