Aktualisiert am 21.06.2023 in Sport, Fotos: Stefan Gapp
Like a pro — seit mehreren Monaten bereiten sich Anna und Christian mit professioneller Unterstützung auf den Ötztaler Rad-Marathon vor. Wir haben uns kurz vor dem Rennen mit einem wirklichen Profi getroffen, der unseren Schützlingen die letzten Tipps mit aufs Rennen gibt und erklärt, warum sich die Erfüllung des Traums Ötztaler Radmarathon oft bereits am ersten Berg entscheidet.
Die goldene Regel
„Hier werdet ihr schon die ersten Leute schieben sehen,“ ist Thomas Rohregger überzeugt, als wir alle gemeinsam die Strecke von Oetz ins Kühtai hoch abfahren. Auf Anna und Christians Gesichtern macht sich gleichzeitig Belustigung und Sorge breit. Wir sind gerade am Eingang in die Galerien. Fünf Kilometer vor der Scheitelhöhe des ersten Anstiegs und für sich gesehen, eine der Schlüsselstellen auf dem Weg von Sölden nach Sölden. Autofahrer werden mit einem 16%-Schild vor dem Kommenden gewarnt. Sogleich richtet auch der Ex-Rennradprofi eine Warnung an Anna und Christian: „Ihr dürft auf dem Weg ins Kühtai auf keinen Fall überdrehen, die Rechnung dafür bekommt ihr dann am Jaufenpass oder spätestens am Timmelsjoch“. Die goldene Regel des Ötztalers.
Natürlich reizt es, direkt nach Start in den ersten Berg mit Vollgas einzusteigen. Monatelange Vorbereitung und Entbehrungen, die eigene Startnummer, der TV-Hubschrauber in der Luft, die klatschenden Zuschauer am Streckenrand, bis in die Haarspitzen motivierte Konkurrenz. Die Rennathmosphäre verleiht Flügel, verleitet aber auch dazu, übermütig zu werden. Laut Thomas eine Dynamik, der man sich bewusst sein muss und deren Kontrolle am ersten Berg bereits darüber entscheidet, ob der Rest des Rennens noch mehr Qual wird, als er ohnehin schon ist.
Bei diesem ersten Steilstück Richtung Kühtai mit 16% Steigung sollte man keinesfalls überdrehen.
Denn dieser erste Berg hat es in sich: Es ist nicht der längste und auch nicht der höchste Berg, aber durch seinen terrassenartigen Anstieg sehr unrhythmisch und relativ steil. Laut Tommy der schwerste Berg des Rennens. Schlagartig schlängelt sich die Passstraße über steile Rampen durch den Ort Oetz und seine Weiler Oetzerau und Taxegg kehrenreich empor nach Ochsengarten, wo auf einer längeren Ebene eine Verschnaufpause folgt. Himmlisch schön ist es hier, man könnte ewig entlang des Baches, vorbei an grasenden Kühen und Pferden durch den Bergwald rollen. Doch dann geht es nach dem Wechsel auf die andere Bachseite auch schon wieder zur Sache. „Ihr seid doch nicht etwa zum Spaß hier?“ scheint es durch die Galerien zu hallen. „Ihr wollt ja auch noch am Timmelsjoch Spaß haben“ entgegnet Tommy, „also wenn euch hier in den Galerien 30 Leute überholen, dann lächelt freundlich und lasst euch von 30 Leuten überholen. Mit großer Wahrscheinlichkeit werdet ihr die noch vor der Ziellinie alle wiedersehen.“ Stur im eigenen Wohlfühl-Rhythmus in möglichst leichtem Gang weiterfahren ist die Devise. Eigentlich sollte man auf dem Weg ins Kühtai das Gefühl haben, „dass man viel zu langsam unterwegs ist“.
Eigentlich sollte man auf dem Weg ins Kühtai das Gefühl haben, dass man viel zu langsam unterwegs ist.
Gemeinsam mit dem Olympiazentrum Tirol haben wir Anna und Christian bei ihrem Projekt "Ötztaler Radmarathon" begleitet. Vom ersten Medizinischen Check bis – so war es ihr Traum – über die Ziellinie in Sölden.
Eine wilde Horde Pferde
Wachsamkeit brauchen Anna und Christian allerdings schon vor dem ersten Anstieg ins Kühtai. „Die meisten Stürze passieren auf der rasanten Abfahrt von Sölden nach Oetz, direkt nach dem Start“ mahnt Tommy. Die Anfangsphase ist geprägt durch Hektik. Meistens ausgelöst durch die ein oder andere Portion Motivation zu viel und Teilnehmer:innen, die vielleicht zum ersten Mal in einem großen Feld Rad an Rad fahren.
Deshalb betont Tommy auch wie wichtig es ist, vor dem Ötztaler Radmarathon schon einmal Rennluft geschnuppert zu haben. „Der Arlberg Giro oder die Dolomiten-Rundfahrt bieten sich an, um ein Renngespür zu bekommen“, sowie Renntaktiken und Ernährungspläne zu testen
„Wie eine wild gewordene Horde Pferde, die endlich ausreiten darf,“ vergleicht Tommy das Feld am Anfang des Rennens. „Schaut, dass ihr euch nach vorne orientiert und eher an der Seite fährt“. So hält man sich am besten aus dem Trubel raus und erreicht hoffentlich unversehrt den Einstieg nach Kühtai. „Von da spricht dann die Muskelkraft!“, aber wie gelernt, gleichmäßig und ausdauernd, nicht maximal. Und wenn man doch mal überpowert? „Dann gilt es ruhig zu bleiben, einen niedrigen Gang einlegen, ja nicht die Nerven wegschmeißen und schauen, dass man sich in der Abfahrt wieder erholt.“ So viel, wie halt der Begriff Erholung und Ötztaler Radmarathon in einem Satz Sinn machen...
Oben in Kühtai angekommen, macht es auf jeden Fall Sinn, sich erstmal Zeit zu nehmen. Die erste Hürde ist geschafft. Die erste Labestation wartet. „Später werdet ihr froh sein, um alles was ihr jetzt schon esst“. Natürlich unter Beachtung der Tipps von unserer Ernährungs-Expertin Lisa.
Also, aufpassen was man isst und im Anschluss, wie man fährt: „Kontrolliert, nichts riskieren und keine ruckartigen Bremsmanöver eingehen“ rät der Profi. Weideröster und feuchte Stellen am Morgen sind Gefahrenstellen. Einen weiteren Aspekt gilt es zu beachten. Vor der Abfahrt, empfiehlt es sich, je nach Temperatur, weitere Kleidungsschichten anzulegen. „Es ist nicht zu unterschätzen, wie schnell der Körper auf einer Abfahrt abkühlen kann“ ruft Tommy ins Gedächtnis und erzählt von einem oft genutzten Trick aus seinen Tour de France Zeiten: „Ich habe mir oft eine Zeitung unter das Trikot gesteckt, die wärmt zusätzlich und nimmt auch noch Feuchtigkeit auf. In Kühtai bekommt ihr sicher eine Zeitung an der Labestation und könnt diese dann unten wieder entsorgen.“
Der Körper braucht viel Energie, um die Körpertemperatur wieder hoch zu regeln, sollte er einmal ausgekühlt sein. Energie, die man auf der Strecke gut für andere Dinge gebrauchen kann.
Kontrolliert abfahren und nichts riskieren.
Es ist nicht zu unterschätzen, wie schnell der Körper auf einer Abfahrt abkühlen kann“ Tommys oft genutzter Trick aus seinen Tour de France Zeiten: „Ich habe mir oft eine Zeitung unter das Trikot gesteckt, die wärmt zusätzlich und nimmt auch noch Feuchtigkeit auf.
Brutal, berühmt und berüchtigt
Wie zum Beispiel für die drei Anstiege, die in der Folge warten. Da wären der Brenner, der sich zwar nicht steil, aber doch in die Länge zieht. Und gerade bei Südfohn eine zähe Angelegenheit werden kann. Zum Brenner hoch ist es deshalb wichtig, „eine gute Gruppe zu finden, in der man sich auch mal bei Jemandem ans Hinterrad setzen kann und ein bisschen Kraft spart.“
Kraft für den Jaufenpass, auf dem man nach mehr als 15 Kilometern Steigung wieder die 2000 Meter-Marke überklettert und spätestens merkt, wie man an diesem Tag in Form ist. Und wie man sich in den Monaten davor vorbereitet hat. „Ich hoffe immer, dass den Teilnehmern bewusst ist, dass man in der letzten Woche vor dem Ötztaler eine verpasste Vorbereitung nicht mehr retten kann.“ Tommy vergleicht es mit einer Schulprüfung, bei der der Tag vor der Prüfung meistens auch nicht mehr für deren Ausgang entscheidend ist. Am Jaufenpass zeigt sich, wer monatelang fleißig trainiert hat und wer es mit einem Vorbereitungs-Crashkurs probiert hat.
Eine technisch anspruchsvolle Abfahrt führt zum letzten Anstieg des Rennens. Tommy überschlägt sich bei dessen Beschreibung fast mit Attributen: „brutal lang, schwierig, berühmt-berüchtigt, sehr gefürchtet.“ Willkommen am Timmelsjoch! Wo nun sicher auch die mentale Fitness entscheidend wird und sich zeigt, wie viele Körner sich Anna und Christian im Kühtai für den Schluss aufgehoben haben.
Ich hoffe immer, dass den Teilnehmern bewusst ist, dass man in der letzten Woche vor dem Ötztaler eine verpasste Vorbereitung nicht mehr retten kann.
Thomas Rohregger
... wurde 2006 Profi im Team Elk Haus-Simplon für das er 2008 die Österreichrundfahrt gewann. Seinen ersten Vertrag im UCI Pro Team hatte er 2009 bei Milram. 2011 fuhr er für luxemburgische Team RadioShack Leopard. Er bestritt insgesamt sieben Grand Tours.
2013 beendete Thomas seine Karriere als Radrennfahrer. Er machte den Abschluss des Wirtschaftsrecht-, und Betriebswirtschafts-Studium an der Universität Innsbruck. Arbeitete nebenbei als technischer Delegierter bei der Union Cycliste International und war maßgeblich an der Organisation der Rad WM 2018 in Tirol beteiligt.
Thomas ist seit seinem Karriereende Sportexperte beim ORF, Tirol Botschafter und steht nun 2021 kurz vor der Anwaltsprüfung.
Thomas Rohregger, Ex-Radprofi
Ausblick
Es ist soweit - TAG X - wie meistern Anna und Christian ihr Grande Finale, hat sich die monatelange Vorbereitung bezahlt gemacht und wird ihr Traum wahr?!
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