
Eine Burg im Licht des Tages
Verborgen unter wucherndem Grün
Jeder, der schon einmal durchs Inntal gefahren ist und den Blick auf die Hänge der Nordkette in der Nähe von Innsbruck gerichtet hat, kennt den markanten Bogen der Burgruine Thaur und – in gemessenem Abstand daneben – das Romediuskirchl. Dazwischen war jahrhundertelang nicht mehr zu sehen als wucherndes Grün, und kaum jemand wäre auf die Idee gekommen, dass der große Bogen ein relativ junger Überrest der einst mächtigen Burg sein könnte. Erst der Verein Chronos Thaur, der 2003 damit begann, zwischen Gestrüpp und alten Absperrungen den Kern der Thaurer Burg freizulegen, spürte der viel umfangreicheren Geschichte des Ortes nach. Seither sind auch die Überreste des Palas und andere Teile der Burg, die zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert errichtet und ausgebaut wurde, weithin sichtbar.
Zwölf Sommer lang graben und forschen
Zwölf Sommer lang bearbeitete die Gruppe rund um den Vereinsobmann und Thaurer Gemeinderat Joe Bertsch und den Künstler Franz Brunner jeweils einen Abschnitt, der bis zum Herbst zu bewältigen war, und förderte bis 2015, als das Projekt abgeschlossen war, Funde seit vorgeschichtlicher Zeit zutage. Vieles davon kann man im 2018 fertiggestellten Ausstellungsraum „rundum thaur“ im Romediwirt bestaunen, anderes muss man sich von einem der Akteure erzählen lassen.

Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts genügte der Torturm als Schutz gegen Feinde. Mit dem Aufkommen von Mörsern musste als Schutzbau die Barbakane errichtet werden.
Wie man eine Burg findet
Mit Joe Bertsch einen Rundgang durch die Burg zu unternehmen, ist eine höchst spannende Angelegenheit. In der großen Anlage mit ihrer Vorburg, dem Palas und dem Torturm weiß er zu jedem Stein etwas zu erzählen. Seine eigene Geschichte der Ausgrabungen und Restaurierung begann mit einem hoch im Wald aufragenden Mauerzahn, der einzustürzen drohte und der auf Betreiben von Chronos Thaur und dem Bundesdenkmalamt von einem geschulten Handwerker für historisches Mauerwerk hergerichtet wurde. Ab der darauf folgenden Saison legten Franz Brunner und Joe Bertsch – immer in Absprache mit Landeskonservator Walter Hauser – mit etlichen Helfern selbst Hand an, befreiten Mauern von Gestrüpp und Erde, erstellten Profile, stabilisierten Vorhandenes und ergänzten es zurückhaltend. „Andere verstehen Pferde, Franz Brunner versteht Steine“, sagt Bertsch und zeigt beim Rundgang durch die Burg, wie Brunner Verschwundenes sichtbar gemacht hat. Wo Mauern erhöht wurden, kennzeichnen eine Linie aus Dachziegeln oder ein Rücksprung um 5 cm den Übergang von Alt zu Neu. An anderen Stellen war eine Seite eines Türstocks vorhanden, die andere bildete Brunner aus einem Betongemisch so exakt nach, dass kaum Unterschiede wahrzunehmen sind.



Um Altes von Neuem zu unterscheiden, wurden feine Linien aus Ziegeln eingefügt oder die Mauern um 5 cm zurückversetzt. Wachsen neue Bäume aus den Mauern, müssen sie, um erneute Schäden zu vermeiden, entfernt werden.
Materialtest, Steinsuche, Aufbau
Es gibt Bögen, die nicht wieder aufgebaut und deren Steine danebengelegt wurden. Andere waren in den 1980er-Jahren zwar restauriert worden – allerdings mit ungeeigneten Materialien, sodass das originale Mauerwerk darüber Schaden nahm. Hier testeten Bertsch und Brunner beispielsweise, welche Ziegel Frost besonders gut aushalten, oder entfernten Zementschichten, durch die das Regenwasser nicht abfließen konnte. Eine besondere Herausforderung war die Beschaffung passender Steine, denn wie so viele alte, verfallene Bauten diente auch die Thaurer Burg den Bewohnern der Umgebung als „Steinbruch“ für ihre Neubauten.

Die Barbakane stammt aus einer Zeit, als Mauern verputzt wurden und daher weniger schön gemauert wurden als in früheren Jahrhunderten.
Funde über Funde
Selbstverständlich fanden sich auf dem Burghügel und in der Umgebung auch zahlreiche Reste der verschwundenen Gesellschaften, die hier einst lebten. Tonscherben und Metallfunde, Schmuck und Pfeilspitzen aus vorhistorischer Zeit gehören dazu, Funde aus der Römerzeit und der Zeit der Völkerwanderung. Eine besondere Überraschung war die Entdeckung einer spätantiken Höhensiedlung, die anhand von Mauerwerk, einer Goldmünze sowie Skeletten und dem dazugehörigen Friedhof in das 4. bis 8. Jahrhundert datiert werden konnte. So fügte sich Teilchen um Teilchen zu einem runden Bild dieses über die Epochen hinweg immer wieder besiedelten Ortes.
Ein Museum muss her!
Der Reichtum an Fundstücken, die bedeutende Geschichte des Ortes verlangte geradezu danach, dass vor Ort ein Museum eingerichtet wurde. Entstanden ist es 2018, als an der Stelle eines abgebrannten Bauernhofs der Romediwirt gebaut wurde und im oberen Stock Räume für eine kulturelle Nutzung geschaffen wurden. Im „rundum thaur“ und in der Burgruine selbst kann man nun tief in die Geschichte eintauchen und anhand der Exponate eine Vorstellung davon gewinnen, wie die Menschen in früheren Jahrhunderten gelebt haben. Nicht nur deshalb haben sich Romediwirt, rundum thaur und die Burg selbst zu einem beliebten Ausflugsziel entwickelt. Kinder berichten ihren Eltern, was sie bei Führungen gelernt haben, durstige Wanderer lassen sich im Gastgarten nieder und finden anschließend Zeit, die Ausstellungsräume zu besichtigen, und manche suchen sich ihren persönlichen Platz auf der Burg, um auszuruhen oder den Blick ins Tal schweifen zu lassen.
Wie es weitergeht …
Auch Joe Bertsch und Franz Brunner kommen immer wieder hier herauf an den Ort, an dem sie zwölf Sommer lang gegraben, geforscht und gebaut haben. Trotzdem ist die Zeit nicht nur eine Erinnerung, sondern war auch der Ausgangspunkt für etwas Neues: Joe Bertsch fasst sein Wissen um die Burg in wissenschaftliche Artikel, Franz Brunner ist als Spezialist für die Rekonstruktion von Steinen regelmäßig an Ausgrabungsstätten wie Aguntum und dem Magdalensberg beschäftigt. So bringen sie auch heute noch Geschichte ans Licht.
Burgruine Thaur und rundum thaur
ganzjährig geöffnet
Joe Bertsch vom Verein Chronos Thaur mit „seiner“ Burg.
oberhalb von Thaur
6065 Thaur
rundum thaur, tägl. 9–17 Uhr
Eintritt frei