Erlkönig. Wo das Festspielhaus thront.
In einer Zeit, in der städtische Ballungsräume das kreative Potential ganzer Regionen aufsaugen, verdient das Festspielhaus in der Mitte von „Nirgendwo“, im Dörfchen Erl an der Grenze zu Bayern, ausgesprochene Beachtung. Ende 2012 eröffnete das neue Festspielhaus Erl nach zweijähriger Bauphase. Dieses Unterfangen nicht halbherzig, sondern mittels kraftvoller Architektur durchzuziehen, verdient schon allein Anerkennung.
Vor ein bisschen über vier Jahren, kurz nach Weihnachten, hat es in Erl ziemlich laut gekracht. Der Boden wackelte wie bei einem Erdbeben. Da wurde nämlich die erste Tranche der insgesamt 110.000 Tonnen Fels in die Luft gesprengt. Es sollte dies der lauteste Eingriff in das historische Ensemble am Westhang des Eibergs bleiben. Denn trotz des recht kantigen Auftritts des neuen Winterfestspielhauses, das da wild entschlossen aus der Waldlandschaft hinausschießt und ein wenig an einen Tarnkappenbomber erinnert, wird das 1959 von Robert Schuller errichtete Passionsspielhaus vom neuen Bauwerk nicht berührt. Die Erler Bevölkerung hat das alte Gebäude nämlich längst in ihr Herz geschlossen. Da ist es um so schöner, dass zwischen dem Altbau und Neubau fast so etwas wie ein feiner Dialog zwischen der gebauten Materie entstanden ist.
Das alte Passionsspielhaus und das neue Festspielhaus leben in einer kontrastreichen Symbiose. Foto: Peter Kitzbichler
Der Wohlklang zwischen altem und neuem Bauen ist nicht zu überhören.
Das neue Festspielhaus von den Delugan Meissl Associated Architects aus Wien – kurz DMAA – ist ein Kontrast zum bestehenden, ebenfalls ziemlich skulpturalen Passionsspielhaus. Im Tagesverlauf und im Wechsel der Jahreszeiten spielen das schwarze Festspielhaus und das weiße Passionsspielhaus miteinander, das Runde und das Kantige von Alt und Neu leben in einer leichten Symbiose. Im Sommer ist es das weiß getünchte Passionsspielhaus, das aus der Landschaft hervorsticht, während das von schwarzen Faserzementplatten ummantelte Winterhaus unauffällig vor dem Hintergrund eines dunklen Waldes verschwindet. Im Winter, wenn der Schnee liegt, ist es umgekehrt. Und genau so sollte es auch sein, denn die von Festspielpräsident Hans Peter Haselsteiner geforderte Aufgabe war nicht einfach, galt es doch, dem von jeher unbeheizten und im Winter unbenützbaren Passionsspielhaus mit seiner einzigartigen Einbettung in die Natur und seiner ebenso einzigartigen Akustik einen ebenbürtigen Konterpart hinzustellen. Das alte Passionsspielhaus von Schuller dreht sich wie ein Schneckenhaus mit seinen weichen Formen in den Berg hinein. Auch der neue Bau von Meissl arbeitet mit dem Hang, bricht jedoch eher aus dem Bergmassiv heraus. Ein bißchen wie Ying-Yang.
Das fast sechzig Jahre alte Passionsspielhaus dreht sich in den Berghang hinein. Foto: Peter Kitzbichler
Weder schlicht noch leer, sondern durchaus von einer gewissen feierlichen Mächtigkeit.
Ohne wegweisenden Schriftzug und ohne große Aufmache finden Besucher mühelos den Weg ins Foyer. Die Architektur spricht eine klare und unmissverständliche Sprache, fast als ob sie sich ganz bewusst der erlebten Kunst unterordnen will. Nach 43 Stufen hat man das Innere erreicht: weiße Wände, heller Boden, dramatische Geometrie in allen Dimensionen. Hier kommt das Architektenteam Delugan und Meissl so richtig auf Touren und setzen ihre Raumflussidee wie aus dem Effeff in die Realität um. Das Foyer ganz in Weiß, einladend, von Licht durchflutet. Herz des Festspielhauses: der steil ansteigende Konzertsaal, Decke und Wände verkleidet mit gebeiztem Akazienholz in warmen rötlichen Tönen, aus Gründen der Akustik kunstvoll in Falten gelegt. Ein bisschen erinnert der Innenraum an einen auseinander-gesägten und wieder neu zusammengefügten Geigenkasten. Aus den Spalten den gewellten Akazienschuppen dringt gedämpftes LED-Licht. Die Architekten metaphoriert nicht ganz uneitel von einem „freigelegten Juwel“. Und irgendwie haben sie damit auch recht.
Der Konzertsaal ist mit gewelltem Akazienholz ausgekleidet – für ein einzigartiges Klangerlebnis. Foto: Tom Benz