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Andrea Lindner

Die Bergrettung: Seilschaft fürs Leben

Aktualisiert am 20.02.2023 in Menschen, Fotos: Bernhard Poscher

Bergrettung Einsatz

Viele Vereine suchen händeringend nach Mitgliedern. Die Tiroler Bergrettung hingegen kann sich vor Anträgen kaum retten. So viele Männer und Frauen wollen in ihrer Freizeit ehrenamtlich Fremde aus alpinen Gefahren retten, dass nur die fittesten genommen werden – und trotzdem oft Jahre warten müssen. Was steckt hinter dem Mythos Bergrettung? Eine Spurensuche im Alltag und am Berg.

Der bärtige Mann drückt ab. Das Geräusch des Bohrers und des brechenden Steins hallen durch die dunkle Winternacht. Nach ein paar Sekunden ist es wieder vollkommen still. Rosanna pflanzt mit konzentriertem Blick einen Anker in das frisch gebohrte Loch, aus dem es noch leicht raucht. Daran hängt sie mit schnellen Griffen nun Karabiner für das Seilgeländer ein, an dem sich die Rettungsmannschaft beim Aufstieg sichern kann. Ein Kollege setzt den Funkspruch ab: „Seilgeländer fertig. Abtransport der verletzten Person kann beginnen.“ Tief unten in einer Schlucht sieht man die Lichtkegel von Stirnlampen tanzen. Dann bringen die Männer und Frauen das abgestürzte Kind nach oben. Rosanna, eine groß gewachsene, durchtrainierte Frau wirft einen prüfenden Blick in das Gesicht des Kindes, das in eine dicke Winterjacke gehüllt ist. Es macht keinen Mucks. Als Dummypuppe der Bergrettung hat es schon viel erlebt, da ist so ein kleiner Absturz in ein Bachbett ja fast schon Routine.

Bergrettung_Übungseinsatz

Ein paar Stunden zuvor: In dem Dorf Axams westlich von Innsbruck sind die Straßen an diesem Spätwinterabend ruhig. Rosanna geht mit schnellen Schritten auf das Gemeindezentrum zu. An ihrem Rucksack baumeln ein Helm und ein Klettergurt, das Logo der Bergrettung auf ihrer Jacke zeigt: Sie hat heute noch mehr vor als eine abendliche Klettertour. Über die Treppe geht es ins Untergeschoss des Gemeindezentrums, in dem die Ortsstelle Axams der Bergrettung ihre Räume und das Lager hat. Rosanna ist an diesem Abend die Erste – und schwingt sich auf einen der Tische. „Mal schauen, wie viele heut kommen“, sagt sie, und an ihrem Dialekt lässt sich die 32-Jährige schnell als Bayerin enttarnen. Mitten in Tirol. Was bringt eine junge Frau dazu, sich fern der Heimat in so einem nervenaufreibenden, anstrengenden und zeitraubenden Bereich zu engagieren?

Bergrettung Rosanna

Anschluss finden – und etwas zurückgeben

Für Rosanna ist das eine komische Frage: „Ich war schon als Kind am Berg. Mein Opa war einer der ersten hauptberuflichen Bergführer und Mitgründer der Bergwacht in Ruhpolding. Und da hab ich mir immer gedacht: ‚Ist ja cool, wenn man selbst so fit ist, dass man anderen helfen kann.‘“ Während des Studiums zog sie nach Innsbruck – und blieb in Tirol. Als sie gemeinsam mit ihrem Freund nach Axams zog, war es für beide der perfekte Anlass, sich bei der Bergrettung zu bewerben. „Ich hab mir gedacht, da lernen wir neue Leute kennen mit gleichen Interessen. Ich wollte Anschluss finden. Aber auch was zurückgeben und mich vor Ort einbringen.“

Rosannas Tage sind voll durchgetaktet. Arbeit, Training, Wettkämpfe, Einsätze. Neben ihrem Beruf als Tourismusmanagerin in Innsbruck, verbringt die Trailrunnerin und Ausdauersportlerin fast jede freie Minute mit dem Training. Da bedarf jeder zusätzliche Termin oder ein Engagement wie die Bergrettung schon genauer Abwägung und Koordination. Aber auch der Vollzeitjob kollidiert hier und da mit der Bergrettung. „Ich hab mein Handy immer auf Stumm“, sagt Rosanna, „nur die Bergrettungs-App ist auf Laut. Das wissen die Kollegen dann auch, wenn ich aus dem Meeting renne, dass das kein einfacher Anruf ist.“ Für Einsätze unter acht Stunden müssen sich die meisten Mitglieder der Bergrettung Urlaub oder Zeitausgleich nehmen. Nur manche Firmen lassen sie als Arbeitszeit gelten. Erst bei Einsätzen über acht Stunden übernimmt die Bergrettung die Kosten.

Einfach so mitmachen kann man bei der Bergrettung in Axams nicht. Es gibt ein Auswahlverfahren mit Eignungsprüfung. Außerdem werden nur alle zwei Jahre vier neue Anwärterinnen oder Anwärter aufgenommen. „Axams ist eine sehr beliebte Ortsstelle – da gibts fast immer mehr Bewerber als Plätze“, sagt Rosanna. Deshalb mussten sie und ihr Freund erst mal zwei Jahre warten, bevor sie im Herbst 2019 die Prüfung ablegen konnten – beide erfolgreich. In den darauffolgenden zwei Jahren waren sie dann sogenannte „Anwärter in Ausbildung“, machten bei vielen Übungen und Lehrgängen mit. „Da lernt man halt alles, was man dann im Einsatz braucht. Bei Übungen hatten wir am Anfang auch noch ein bissl Schonzeit. Aber jetzt gibts da nix mehr“, lacht Rosanna.

Bergrettung Rosanna im Einsatz

Satzungen, Protokolle und echter Zusammenhalt

Um 19 Uhr ist der Kellerraum des Gemeindezentrums in Axams gut gefüllt. Schon an der Art und Weise, wie Männer und Frauen den Raum betreten und wie sie andere begrüßen, kann man ablesen, wie lange sie Teil der verschworenen Truppe sind. Herzliche Umarmungen unter den alten Hasen, ein schüchternes „Hallo“, mit denen die aktuellen Bergrettungsanwärter ihren neuen Kollegen zuwinken. Der Ortsstellenleiter, Heinz Gatscher, gibt einen kurzen Aktivitätsbericht der letzten Wochen, einen Hinweis auf die Bestellung der neuen Jacken und den Termin zur Anprobe. „Schauts bitte, dass ihr euch alle in die Listen eintragt“, sagt er eindringlich. Außerdem die Erinnerung an die Jahreshauptversammlung und die Bekanntgabe, dass das Vereinslokal bald wieder aufmacht. Rosanna muss schmunzeln. Für eine Weile wirkt das Treffen wie eine normale Vereinssitzung, wie sie überall stattfindet, für Brauchtum, Fußball, Hundezucht. Aber die Satzungen, Protokolle und Ehrungen sind in allen ehrenamtlichen Organisationen kein Selbstzweck, sondern schaffen ein kollektives Gedächtnis und sozialen Zusammenhalt. Das gilt besonders für die Bergrettung, findet Rosanna: „Hier drängt sich niemand in den Vordergrund oder braucht die große Bühne. Hier zählt das Team.“ Die Frauen und Männer im Raum wirken wie eine eingeschworene Gemeinschaft, die nicht nur bei Übungen und im Einsatz zusammenhält. „Wenn einer ein Haus baut oder so was, da sind dann auch alle dabei. Da hilft man dann genauso zam“, sagt Rosanna „Wir sind am Berg zusammen und auch im Ort.“ 

Die Bergrettung Axams hat zwischen 30 und 40 Einsätze im Jahr. Von einfachen Bergungen einer „blockierten Person“, also wenn sich zum Beispiel jemand das Absteigen einfach nicht mehr zutraut oder ängstlich wird, bis hin zu großen Lawineneinsätzen mit Sondensuche ist alles dabei. Bisher hatte Rosanna „eher die einfachen Einsätze“, die dann auch mehr oder weniger gut ausgegangen sind. Beispielsweise eine Lawine, bei der alle Verschütteten schnell und einfach geborgen werden konnten. Sie weiß aber auch, dass irgendwann auch mal einer der heftigeren Einsätze kommen wird. Vielleicht ein Kind, das in eine Schlucht stürzt und für das alle Hilfe zu spät kommt. Was wird das mit ihr machen? Sie weiß es nicht. 

Deshalb ist der Übungsabend mehr als ein nettes Zusammentreffen, „es soll schon ein bisschen Einsatzatmosphäre aufkommen“, sagt Rosanna. Die Mitglieder der Bergrettung bekommen eine fingierte Alarmierung, eine kurze Einsatzbeschreibung aufs Handy. „Viele Infos haben wir nicht“, sagt Rosanna, „man weiß nicht so genau, was kommt. Beim Einsatz ist es ja genauso.“ Während der Einsatzbesprechung ist es still im Raum: Zwei Kinder sind beim Rodeln vom Weg abgekommen und werden jetzt in einem Bachbett in einer kleinen Schlucht vermutet, der Zustand ist unklar. „Das Gelände ist absturzgefährdet, also absoluter Fokus auf die Sicherung.“ Heinz Gatscher, der Ortsstellenleiter der Bergrettung, macht die Einteilung: Es gibt zwei Sanitäterteams, die jeweils von einem Technikteam unterstützt werden. Die Männer und Frauen eilen schnellen Schrittes hinüber in die Garage und das Lager. Die Autos werden vorbereitet. Seile, Tragen, Sicherungsschlingen … alles muss mit.

Bergrettung Besprechung

Eine Investition, die sich lohnt

Die Jeeps halten mitten im Wald, an dem der Hang steil abreißt. Rosanna ist Teil des Technikteams und bereitet mit einem Kollegen den Seilrollenflaschenzug vor, mit dem sich die Rettungsmannschaft nach oben ziehen kann, sobald die verletzte Person auf einer Trage gesichert wurde. Ab und an hallen Funksprüche durch die Dunkelheit. Reden ist unnötig. Alles wirkt eingespielt und vertraut. Nach weniger als 30 Minuten kann das erste Kind über das Seilgeländer nach oben transportiert werden. Danach müssen die Bergretter die Trage noch über einen Steilhang zum Weg tragen. Aus der Puste kommt Rosanna bei solchen Übungen nicht. Die durchtrainierte Bayerin läuft Ultramarathons und gehört in der Gruppe zu den fittesten. Insgesamt vier Frauen sind bei der Bergrettung in Axams dabei – von insgesamt 76 Mitgliedern. Als ihr Opa 1947 die Bergwacht Ruhpolding gründete, erzählt sie, waren „natürlich nur Männer dabei“. Die Enkelin beweist jetzt, dass es sehr wohl auch Frauensache sein kann, Leben in den Bergen zu retten. Und Heinz Gatscher, Rosannas Chef bei der Bergrettung, meint: „Die Rosanna ist topfit und kennt sich mit den Bergetechniken top aus. Damit ist sie auch wieder ein Vorbild für andere.“

Bergung

Der Berg, die Action, das Soziale

Als Rosanna und ihr Trupp bei den Einsatzwagen ankommen, wirft der Ausbildungsleiter Klaus Pietersteiner einen prüfenden Blick auf die Uhr. Bereits 40 Minuten nach Eintreffen am Einsatzort ist die erste verletzte Person geborgen. Er nickt zufrieden. So kann es weitergehen. Als auch das zweite „Kind“ geborgen wurde, wird die Stimmung ausgelassener. Bergrettungschef Heinz Gatscher ist ebenfalls zufrieden. Er selbst ist seit 15 Jahren bei der Bergrettung. Wenn er beschreiben soll, was es heißt, Bergretter zu sein, wird er nachdenklich. „Na ja, dir muss halt immer klar sein, dass es da um Menschenleben geht“, sagt er. „Aber sonst, das ist klar, der Berg, das Aktive, das Draußensein.“ Dafür sind die Menschen bereit, viel zu investieren: Rund 6.000 bis 7.000 Euro muss jeder Bergretter und jede Bergretterin für die Ausrüstung aufbringen. Dazu kommen die zeitliche Flexibilität und die permanente Bereitschaft, Alarmierungen können schließlich zu jeder Tages- und Nachtzeit kommen: Jedes Jahr gibt es neben den 40 Einsätzen auch noch bis zu 25 Übungen. „Das ist schon nicht einfach“, sagt Gatscher, aber negativ oder jammernd solle das bitte nicht klingen, das ist ihm wichtig: „Das Coole ist die Kameradschaft, das Miteinander, diese eingeschworene Gemeinschaft. Das ist es mir wert.“

Bergrettung Kameradschaft

Auch wenn andernorts das zeitintensive Ehrenamt an Popularität verliert, ist in Tirol der Andrang auf die meisten der 91 Ortsstellen der Bergrettung groß: Jedes Jahr melden sich 120 bis 140 Menschen neu bei der Bergrettung an – insgesamt sind es 4.600 ehrenamtliche Mitglieder. Laut dem Bundesministerium für Land und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft engagieren sich mehr als 68 Prozent der Tiroler Bevölkerung ehrenamtlich. Das ist mehr als doppelt so viel wie in anderen Bundesländern, zum Beispiel dem Salzburger Land oder Kärnten mit jeweils 31 Prozent. Es ist schwer zu sagen, ob das an den engen Tälern liegt, in denen die Menschen noch enger zusammenwohnen, oder dem Leben am Berg, bei dem man auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Sicher ist, dass die Tiroler Bergrettung die rund 2.000 Einsätze pro Jahr ohne die Ehrenamtlichen nicht leisten könnte. Man ist darauf angewiesen, das klingt fast altmodisch, aber so ist es.

Bergrettung Ausrüstung

Für Andrea Lindner ging es schon früh mit ihren Brüdern und Eltern in die Berge. Damals nicht immer ganz freiwillig. Heute muss man sie nicht mehr in die Tiroler Berge zwingen. Sie ist dort gerne zu Fuß, beim Klettern oder auch im Schnee unterwegs - aber ihre Lieblings-Perspektive ist von oben, wenn sie mit ihrem Gleitschirm in luftigen Höhen unterwegs ist.

Andrea Lindner
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