Klettern ist eine vergleichsweise junge Sportart, aber sie liegt schwer im…
Aus der Krise klettern
Es gibt einen Patienten, den ich niemals vergessen werde: Er war dreimal wegen eines Gehirntumors operiert worden. Zu Beginn hat ihn sogar der Schritt auf die weiche Bouldermatte überfordert. Das war unsere erste Therapieeinheit: aufstehen. Nach einigen Monaten kletterte er jedoch eine Route. Sein Fortschritt war inspirierend. Und das, obwohl man ihn schon abgeschrieben hatte. „Austherapiert“, hieß es damals.
Markus Schauer hat ein therapeutisches Kletterzentrum mitgegründet und an der privaten Universität UMIT in Hall in Tirol gelehrt. Außerdem ist er Betreuer der österreichischen Kletternationalmannschaft
Nicht nur Menschen mit neurologischen Problemen können vom therapeutischen Klettern profitieren. Welche anderen Anwendungsbereiche gibt es für das therapeutische Klettern?
Es gibt drei Hauptbereiche: Physiotherapie, Ergotherapie und Psychotherapie. Studien haben gezeigt, dass Klettern besonders bei Menschen mit Angststörungen oder Depressionen positive Effekte hat.
Beim Klettern werden instinktive Bewegungen aus der Kindheit wieder hervorgeholt.
Warum Klettern und nicht andere Sportarten? Viele fragen sich, warum Klettern therapeutisch wirksamer sein kann als andere Aktivitäten. Warum ist Klettern effektiver als Laufen oder Radfahren?
Beim Klettern sind Sie vollständig im Moment. Sie konzentrieren sich darauf, den nächsten Griff zu erreichen, und haben keine Zeit, über andere Dinge nachzudenken. Es zwingt die Menschen, im Hier und Jetzt zu sein.
Die universelle Natur des Kletterns: Klettern ist nicht nur für diejenigen, die in bergigen Gebieten aufgewachsen sind. Ist Klettern für jeden geeignet?
Ja, jeder kann klettern. Es geht nicht um die Leistung, sondern um die Erfahrung. Es hilft Menschen, ihre Komfortzone zu erweitern und mit ihren Ängsten umzugehen.
Bei kaum ein anderen Sportart ist ein komplettes Abschalten so gut möglich wie beim Klettern.
Beim Bouldern und Klettern arbeitet Markus Schauer an z.B. den Angststörungen seiner Patienten.
Kopfsache Klettern.
Sind Sie selbst schon mal aus einer Krise geklettert?
Ja. Vor ein paar Jahren habe ich meinen älteren Sohn verloren – da bricht natürlich eine Welt zusammen. Zuerst bin ich einfach so weit wie möglich weg, nach Hawaii geflogen. Aber egal, wohin man flüchtet, man nimmt immer alles mit. Das war also auch keine Lösung. Ich habe das Klettern ursprünglich nicht in der Halle gelernt, sondern draußen in der Natur, wo ich erstmal ewig im vierten oder fünften Grad herumgekraxelt bin. Genau diesen Weg bin ich dann zurückgegangen: Ich bin viele leichte Mehrseillängentouren geklettert, habe irgendwo einen Gipfel mitgenommen. Das hat mir die Kraft gegeben, mich langsam wiederaufzurichten.
Beim Klettern wird u.a. das Selbstvertrauen und Vertrauen in andere Personen gestärkt.
Neben Ihrer Tätigkeit als Therapeut sind Sie auch Betreuer der österreichischen Kletternationalmannschaft. Was kann man von den Profis über den Umgang mit Krisen lernen?
Dass man sich nicht zu sehr auf das Problem konzentrieren sollte, sondern auf die Möglichkeiten, die einem weiterhin offenstehen. Der Fokus wird nicht auf das Problem gelenkt, sondern auf die Lösung.
Wenn man als Einsteiger die positiven Effekte des Kletterns für sich nutzen möchte – worauf sollte man dann achten?
Mein Tipp ist immer, zunächst mal einen Klettergrundkurs zu machen. Wenn man die Grundlagen gleich zu Anfang von jemanden vermittelt bekommt, der das kompetent kann, kommt das Selbstvertrauen und letztlich auch die Freude von alleine.
Gibt es einen Ort, wo das besonders gut gelingt?
Mein Lieblingsgebiet ist die Leutasch bei Seefeld. Dort findet man von sehr leichten, bis sehr schwierigen Routen alles. Gleichzeitig ist die Landschaft da oben wunderschön. Hier kann ich mich perfekt entspannen.
Markus Schauer ist ein Pionier in der Verknüpfung von Psychotherapie und Bergsport, er hat ein therapeutisches Kletterzentrum mitgegründet und an der privaten Universität UMIT in Hall in Tirol gelehrt. Außerdem ist er Betreuer der österreichischen Kletternationalmannschaft.