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Fünf Generationen unter einem Dach

12.12.2022 in Magazin, Fotos: Matthias Ziegler

Die winterfeste Straße zu den Höfen wurde erst in den 1980er- Jahren geteert – davor musste man zu Fuß gehen. Oder die Pistenraupe nehmen.Die winterfeste Straße zu den Höfen wurde erst in den 1980er- Jahren geteert – davor musste man zu Fuß gehen. Oder die Pistenraupe nehmen.

Umziehen? Nein danke! Franz Klotz lebt sein ganzes Leben auf den Rofenhöfen hinter Vent und züchtet Pferde. Sein Neffe Florian und dessen Frau Sabine betreiben nun die Gastwirtschaft auf den Höfen und haben auch nicht vor zu gehen. Was gewinnen sie durch diese Treue – und worauf müssen sie verzichten?

Servus, möchte noch jemand Weißbier?“ Florian Klotz, in der einen Hand zwei Teller balancierend, in der anderen einen Brotkorb, blickt fragend seine Gäste an. Daumen nach oben. Florian nickt. Bier fließt in hohe Gläser, Schaum schäumt, Gäste prosten. Weiter geht’s. Die Rofenhöfe liegen auf einer Höhe von 2011 Metern und gelten als die höchsten dauerbewohnten Höfe in Tirol. Seit 2014 bewirtschaftet der 58-jährige Familienvater Florian die Gaststätte mit seiner Frau. Von seiner Terrasse, auf der Gäste in dicken Jacken Weißbier und Cappuccino trinken, blickt Florian auf eine Landschaft wie aus einem Märklin-Katalog: schneebedeckte Gipfel, Fichten, deren Nadeln in der Mittagssonne duften, Flüsse, tief eingefressen in das Gestein der Berge, Pferde galoppieren durch knöcheltiefen Schnee, ein Hund döst auf der warmen Veranda. Hier oben, so scheint es, ist das Leben perfekt und idyllisch. Aber wie ist es wirklich?

Der gelernte Koch und Kellner ist auf den Rofenhöfen geboren und groß geworden, mit seiner Familie lebt er in dem Haus mit der großen Terrasse. Wie lange die Familie Klotz die Rofenhöfe besiedelt? „Schon sehr lange“, sagt Florian. Wie lange genau? Florian zuckt mit den Schultern. „Das weiß niemand“.

Florian Klotz

„Zur Schule musste ich jeden Tag zu Fuß nach Vent runter“, erinnert sich Florian. 150 Höhenmeter auf einem zweieinhalb Kilometer langen Weg. „Ich musste mir früher den Weg selbst durch den Schnee bahnen. Normalerweise habe ich eine halbe Stunde gebraucht für den Schulweg.“ Auf dem Heimweg nahm er mit, was seine Eltern und der Onkel auf den Höfen benötigten: Brote vom Bäcker, Pakete und Briefe vom Postamt, den Quelle-Katalog. „Der war so dick“, sagt Florian und hält seinen Zeigefinger und Daumen rund fünf Zentimeter auseinander. „Ich hatte immer ein Seil dabei, damit ich meine Schultasche zubinden konnte, wenn er zu voll war.“

Die Straße, über die man mit dem Auto heute bequem zu den Rofenhöfen fahren kann, wurde erst 1984 geteert. Davor kam nur zu den Höfen, wer ging, ritt oder eine Pistenraupe besaß, so wie Florians Vater ab den 1970er-Jahren. In einem Winter war er mit dem Vater unterwegs, als die Pistenraupe unerwartet ins Rutschen geriet und den Hang hinunterstürzte. „Erst kurz vor einer Schlucht blieben wir stehen“, sagt Florian. Während es stürmte, schaufelten sie die Pistenraupe mehrere Stunden lang frei, erst spät in der Nacht kamen sie nach Hause. „Das Leben hier oben kann sehr hart sein“, sagt Florian. Trotzdem blieb er.

Rofenhof

Warum leben Menschen freiwillig an Orten, die so abgelegen sind, dass selbst der Weg zur Schule zum Abenteuer wird? Auf den Rofenhöfen, zwischen verschneiten Felswänden und Almwiesen, gewinnt man den Eindruck, dass diese Welt so einzigartig ist, dass man vielleicht nirgendwo anders glücklich sein kann. 

1995, so erzählt es Florian, zog er für längere Zeit von den Rofenhöfen fort, nach Niederösterreich, mit seiner damaligen Frau. „Beruflich war das ein Traum“, erinnert er sich. Er arbeitete als Montagetechniker: geregelte Arbeitszeiten, freie Wochenenden, all das war er als Gastwirt nicht gewohnt. Doch bald, so erzählt er, kam das Heimweh. Hinzu kam das Wetter, ständig Nebel, grau in grau, „tagelang, wochenlang keine Sonne“.

Als er 2002 zurück auf die Rofenhöfe kam, lief das von den Eltern geführte Restaurant schlecht. „Da wusste ich: Entweder ich baue mir hier etwas auf oder ich gehe ein“. Florian entschied sich fürs Aufbauen: Er legte vor dem Haus einen Wendeplatz an, groß genug, um mehrere Omnibusse zu parken, rief in den Hotels im Ötztal an, lud sie ein, ihre Gäste vorbeizuschicken, kooperierte mit Reiseveranstaltern. Bald füllte sich das Restaurant wieder, an schönen Tagen tummeln sich Spaziergänger, Skitourengeher und Erholungssuchende auf der Terrasse. Während Florian seine Gäste bedient, kocht seine Frau Sabine Schnitzel, Kaiserschmarrn und bereitet Salate zu. Heute, sagt Florian, wolle er nie wieder fortziehen von den Rofenhöfen. Nur für die gemeinsamen Familienurlaube am Mittelmeer verlässt er sein Zuhause manchmal für ein paar Tage. „Nach nur einer Woche Urlaub denke ich mir: Wann geht’s endlich wieder zurück?“ Florian mag die Freiheit in den Bergen, den Ort, an dem er tun und lassen kann, was er will. Inzwischen schließt er sein Restaurant an einem Tag in der Woche, seine Frau hat ihn dazu überredet. „Das erste Mal in meinem Gastroleben habe ich einen freien Tag in der Woche“, schwärmt Florian. Die Zeit verbringt er mit seiner Familie, gemeinsam geht er mit seiner Frau Skitouren oder nimmt die junge Tochter mit zum Rodeln.

Sabine Klotz

Als der Postbote kommt und Briefe bringt, holt ihm Florian Kaffee. Gemeinsam sitzt er mit dem Postboten auf der Terrasse, plaudert, bis der Beamte in sein gelbes Auto steigt und weiterfährt. Mit ein paar Gästen tauscht Florian Neuigkeiten aus dem Dorf aus. Im Haus lernt Florians Tochter Larissa für die Schule. „Ein Mathetest steht an“, erzählt die 14-Jährige, die wie ihr Vater und Großonkel, auf den Rofenhöfen groß geworden ist. „Ich bekomme in der Schule schon Heimweh“, sagt sie. Warum? „Ich liebe die Ruhe hier draußen.“ Nirgendwo sei es so schön wie hier. „Wenn du genervt bist, kannst du einfach rausgehen, ein Stück wandern, dich auf einen Stein setzen und zur Ruhe kommen.“ Hier auf den Rofenhöfen, sagt Larissa, hier oben habe sie ihren Frieden. Nach der Schule will sie hier wohnen bleiben, nur die Gastro, die übernimmt sie nicht. „Ich will Medizin studieren.“ Neben Larissa sitzt Sabine. Geduldig hilft die Mutter der Tochter, knifflige Matheaufgaben zu lösen. Wie ihre Tochter liebt auch Sabine die Berge in ihrer Heimat, weil sie schroff und steinig sind „wie das Leben“. Aufgewachsen ist sie in der kleinen Ortschaft weiter unten im Tal, durch die Heirat mit Florian kam sie auf die Rofenhöfe. Ob das Leben hier oben nicht langweilig sei auf Dauer? Sabine schüttelt den Kopf. Manche Orte habe sie schon hunderte Male besucht, aber jedes Mal, seien sie anders. „Manchmal sind dort Murmeltiere, ein andermal kreist ein Adler über dir.“ Wie könne es da langweilig werden? Wegziehen werde sie nie, sagt Sabine. „Sechs Bretter mit einem Deckel drauf, vorher geh ich hier nicht mehr fort.“

Kindheit in der Natur: die 14-jährige Larissa und der Nachbarsbub. Larissa liebt die Ruhe „hier oben“: „Ich habe in der Schule schon Heimweh.“Kindheit in der Natur: die 14-jährige Larissa und der Nachbarsbub. Larissa liebt die Ruhe „hier oben“: „Ich habe in der Schule schon Heimweh.“

Oberhalb der Terrasse befindet sich ein Stall mit ein paar Plakaten an der Fassade: Posa von den Rofenhöfen. Klassensieger, Haflinger Weltausstellung 25.–29. Mai 2005. Im Stall steht Franz, Florians Onkel. Grauer Vollbart, schwarze Mütze, buschige Augenbrauen, Hände rau wie der Fels der umliegenden Berge. Der 75-Jährige schiebt Heu mit einer Mistgabel in Futtertröge. Seit Anfang der 70er-Jahre züchtet Franz Haflinger, „die besten und natürlichsten Gebirgspferde“, wie er sagt. Banner an den Außenwänden und Urkunden bezeugen seinen Erfolg.

Klassensieger im Schnee: Franz Klotz züchtet seit den 1970er-Jahren hier oben Haflinger und gewann viele Preise – „Es sind einfach die besten Bergpferde.“Klassensieger im Schnee: Franz Klotz züchtet seit den 1970er-Jahren hier oben Haflinger und gewann viele Preise – „Es sind einfach die besten Bergpferde.“

Klassensieger im Schnee: Franz Klotz züchtet seit den 1970er-Jahren hier oben Haflinger und gewann viele Preise – „Es sind einfach die besten Bergpferde.“Klassensieger im Schnee: Franz Klotz züchtet seit den 1970er-Jahren hier oben Haflinger und gewann viele Preise – „Es sind einfach die besten Bergpferde.“

Schon Franz’ Vater setzte Haflinger als Arbeitspferde ein. Weil sie Kraft hatten, ausdauernd waren, die Tiere waren stämmiger als ihre heutigen Nachfahren. „Ich bin mit den Tieren auf die Hochjochhütte oder die Brandenburger gewandert“, sagt Franz. Sie transportierten alles, was die Hütten brauchten: Brennholz, Lebensmittel, Schnaps. Einmal sei ein Pferd auf dem Weg zur Brandenburger Hütte in eine Gletscherspalte gestürzt. „Das hat sich verkeilt, wir hatten keine Chance es da wieder rauszuholen.“ Der herbeigerufene Zöllner erschoss das Tier. „Vor ein paar Jahren ist das Skelett an der Gletscherzunge wieder aufgetaucht“, erzählt Franz.

Einfach war auch für ihn das Leben hier oben nie. 1986 riss eine Lawine den Pferdestall ins Tal. Alles musste wieder aufgebaut werden. „Ich kann mich noch an einen Winter erinnern, da kamen in 20 Stunden 1,65 Meter Neuschnee runter.“ Im eigenen Hausgarten baute die Familie an, was die Natur hergab. „Aber hier oben etwas zum Wachsen zu bringen ist hart“, sagt Franz. Die Kartoffeln habe er öfter im Boden gelassen als rausgezogen. Nur  Radieschen und Karotten, die seien gut gediehen. Mit jedem Spatenstich in die steinige Erde, jeder Schaufel voller Schnee, die Franz von den Wegen schippte, wuchs sein Bezug zu dem, was er seine Heimat nennt. Hier oben auf den Rofenhöfen ist Heimat nicht nur ein Ort, sondern das Gefühl, sich das Bleiberecht durch harte Arbeit erkämpfen zu müssen. Das fordernde Leben erschuf bei Franz über die Jahrzehnte eine besonders tiefe Verbundenheit zu allem, was ihn hier oben umgibt.

Und so verwundert es nicht, wenn Franz sagt, dass er trotz des harten Lebens und der Abgeschiedenheit nie ans Wegziehen dachte. „Ich verlasse doch den schönsten Ort der Erde nicht.“ Viel zu wichtig sei ihm die Freiheit, die er in der Natur habe, und die Berge, die er liebt, weil sie so konstant sind. „Das Gebirge ist noch genauso, wie ich es seit meiner Kindheit kenne.“ Die Gipfel stehen dort, wo sie früher schon standen, im Winter verschneit, im Sommer steinern schwarz. Seine Heimat, die Rofenhöfe, habe er noch nie länger als sechs Wochen am Stück verlassen. Ein Pferd reckt den Kopf über den Rand der Box und reibt die Nase an Franz Schulter.

Inzwischen ist der Mond aufgegangen über den Rofenhöfen, als Franz über den Teer der Straße vom Stall in sein Haus stiefelt, so wie er es seit Jahrzehnten macht.

Über ihm glitzern die Sterne, die verschneiten Berggipfel schimmern wie weiße Zuckerhüte im Mondlicht, die Terrasse vor dem Haus, in dem Florian, Larissa, die nächsten Generationen leben, ist menschenleer. Franz bleibt stehen, blickt in den Himmel, atmet tief ein, saugt die klare Bergluft in seine Lungen. „Schau dir das an“, sagt er. „Was will man mehr.“ Franz steigt die Steinstufen zum Hauseingang hinab, öffnet die Eingangstür, die kurz darauf mit einem leisen Klicken ins Schloss fällt. Dann kehrt Ruhe ein über den Rofenhöfen, der Heimat der Familie Klotz.

Ausblick von den Rofenhöfen

Die Rofenhöhfe

Erstmals im Jahr 1280 urkundlich erwähnt, genossen die Höfe im Mittelalter lange Zeit Steuerfreiheit und eine eigene Gerichtsbarkeit. Seit langer Zeit werden die Bergbauernhöfe von der Familie Klotz bewirtschaftet – einem Vorfahren, Leander Klotz, gelang 1848 die Erstbesteigung der Wildspitze, des höchsten Gipfels in den Ötztaler Alpen. Heute sind die Höfe eine beliebte Bergsteigerstation.

Berggasthaus Rofenhof
Familie Florian Klotz
Rofenstrasse 3 6458 Vent
Tel: +43 (0) 5254 - 8103
info@rofenhof.at

Fenstermonteur, Goldschmied, Türsteher. Jetzt freier Journalist. Studium der Geschichte, Ethnologie und Kommunikationswissenschaften in Freiburg, München und Kanada. Ausgebildet an der Deutschen Journalistenschule. Schläft lieber draußen als drinnen und das am liebsten in Tirol.

            Merlin Gröber.
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