Urlaub zum Anpacken
Natürlich hört die Bäuerin Christine Erharter etwas, wenn sie auf ihrem Lieblingsplatz sitzt, draußen auf der Holzbank neben der Eingangstür. Das umtriebige Summen der Bienen etwa, die sich um die Frühblüher im Garten kümmern, oder die Grillen, die wie jedes Jahr um diese Zeit damit beginnen, für ein paar Monate um die Wette zu zirpen.
Die Ruhe ist für viele Gäste die größte Überraschung.
Wer als Stadtbewohner zum ersten Mal den Siedlerhof in Hopfgarten besucht, ist dennoch zunächst fast irritiert. Denn vor allem hört man: nichts. Keine Nachbarn, keinen Verkehrslärm – nur das pulsierende Vibrieren der Natur, die den stolzen Hof umgibt. „Die Ruhe ist für viele Gäste die größte Überraschung“, sagt Christine.
Der Siedlerhof. © Hörterer Lisa
Der endlose Blick, die sonnige Alleinlage, das wunderschöne Bauernhaus im Brixentaler Stil – es gibt viele weitere Gründe, weshalb die Menschen ihren Urlaub auf dem Siedlerhof verbringen möchten. Der wichtigste aber dürfte sein, dass der Hof in erster Linie gar kein Urlaubsziel ist – sondern ein Bergbauernhof, auf dem hart gearbeitet wird. Die Erharters haben 24 Milchkühe, auf dem Hof leben außerdem ein Haflinger und ein Pony, Hasen, Hühner und Katzen. Allein die Versorgung der Tiere reicht aus, um den Tag zu füllen. Dort Urlaub machen, wo andere arbeiten, vielleicht sogar selbst die Gummistiefel anziehen und beim Ausmisten im Stall helfen – das klingt erstmal widersprüchlich. Doch für immer mehr Menschen entspricht dieses Bild genau ihren Vorstellungen von einer gelungenen Auszeit.
Urlaub am Bauernhof hat eine lange Tradition – und wird immer beliebter
318 Betriebe gibt es in Tirol, die zum österreichischen Verband „Urlaub am Bauernhof“ gehören, auch der Siedlerhof zählt dazu. Seit beinahe dreißig Jahren unterstützt der Verband Bauernhöfe dabei, neben der Landwirtschaft ein Urlaubsangebot als zweites Standbein aufzubauen. Dabei wird genau darauf geachtet, dass die Mitgliedsbetriebe bestimmte Qualitätsmerkmale erfüllen: Zum Beispiel müssen die Bauernhöfe aktiv bewirtschaftet werden, und die bewirtschaftete Fläche mindestens zwei Hektar groß sein. Auch gibt es eine Obergrenze für die Anzahl der zulässigen Schlafplätze. Laut dem Verband stieg die Auslastung bis zuletzt jedes Jahr an – das Angebot, seinen Urlaub auf einem Tiroler Bauernhof zu verbringen, scheint einen Nerv zu treffen.
Die erste Frage ist nicht mehr nach dem WLAN-Passwort.
„Mal in den Stall gehen und ein Kalb streicheln – das ist für viele ein echtes Erlebnis“, sagt Christine. Sie kennt die Bedürfnisse ihrer Gäste, einige empfängt sie bereits seit mehreren Jahrzehnten auf dem Siedlerhof. Gerade Familien mit Kindern sind von dem Angebot begeistert. Die Kleinen sind den ganzen Tag beschäftigt: Sie sammeln ihr Frühstücksei selbst ein, bringen die Pferde auf die Koppel oder füttern die Hasen. Dabei lernen sie viel über den respektvollen Umgang mit der Natur: Bei Mutterkühen mit Kalb muss man vorsichtig sein, Pony Stella braucht seine Ruhe, weil sie Asthma hat, Haflinger-Stute Cindy dagegen ist tiefenentspannt und macht so gut wie alles mit. „Die Kinder lernen schnell, die Körpersprache der Tiere zu lesen“, sagt Christine. Die Eltern können währenddessen die Ruhe genießen, eine kleine Wanderung unternehmen oder bei der Heuernte helfen.
Mitanpacken am Bauernhof. © Lisa Hörterer
Ein Bergbauernhof, der sich seit mehr als 100 Jahren kaum verändert hat, ist das holzgewordene Gegenteil vom ständigen höher, weiter, schneller
Aber es sind nicht nur Familien, die Urlaub auf dem Siedlerhof machen. „Es kommen auch immer mehr junge Menschen“, sagt die Bäuerin. „Die Ansprüche haben sich geändert.“ Früher wollten ihre Gäste noch möglichst viel erleben, unternahmen auch mal einen Tagesausflug nach Innsbruck oder zu den Krimmler Wasserfällen. Mittlerweile kommen sie an und wollen vor allem: Abstand gewinnen, durchatmen, den Bezug zur Natur und zur Landwirtschaft zurückgewinnen. Woran sie das merkt? „Die erste Frage ist nicht mehr nach dem WLAN-Passwort.“
Siedlerhof im Hopfgarten. © Hörterer Lisa
Eine Erfahrung, die auch Gerti Maas vom Tiefhof in Nauders gemacht hat: „Ich glaube, die Leute können zunehmend auf Luxus verzichten. Oder besser gesagt: Sie wollen eine andere Art von Luxus“, sagt Gerti. Die beiden Ferienwohnungen, die es auf dem Tiefhof gibt, sind stilvoll, aber reduziert eingerichtet, haben alles, was man braucht – und keine Fernseher. Beschwerden gab es deshalb noch keine, im Gegenteil: „Wir spüren, dass unsere Gäste nicht von morgens bis abends bespaßt werden möchten“, sagt Gerti. „Sie kommen hierher, um runterzukommen.“ Der Tiefhof liegt leicht versteckt auf 1.570 Meter im Nauderer Hochtal. Den Endpunkt der Zufahrtsstraße bildet der Hof selbst. Dann gibt es nur noch: Hochmoore, Bäche, Seen und den dichten Tieferwald. Der Hof liegt im Dreiländereck, bis zur Grenze nach Italien oder in die Schweiz ist es nur ein kurzer Spaziergang. Für die Gäste ein schöner Nachmittagsausflug, wenn sie nicht zu beschäftigt sind, mit anzupacken.
Tiefhof in Nauders. © Hörterer Lisa
Auf dem Tiefhof haben sie Kühe, Pferde, Ziegen, zwei Schweinchen und Hühner. Der biologische Kreislauf ist der Familie Maas enorm wichtig, konkret bedeutet das: Der Tierbestand richtet sich nach der Menge an Futter, die sie selbst produzieren können. „Andernfalls müsste man Futter dazukaufen, dann hat man wiederum zu viel Gülle für die Felder – sowas machen wir nicht“, sagt Gerti. Geschlachtet wird auf dem Hof selbst, so wird unnötiger Stress für die Tiere vermieden, das Fleisch kann man dann im Hofladen kaufen oder es wird an ein befreundetes Hotel geliefert.
Tiefhof in Nauders. © Hörterer Lisa
Sie genießt es, sich mit Menschen auszutauschen, die mit ihrer Welt sonst nicht in Kontakt kommen würden.
Gerti freut sich darüber, ihre Philosophie an die Gäste weitergeben zu können, zu zeigen, wie gelebte Nachhaltigkeit wirklich aussieht. Häufig sitzt die Familie Maas mit ihnen zusammen, erzählt von der turbulenten Hofgeschichte, von Schmugglern im Tieferwald oder dem Christkind, das früher nur für eins der sechs Kinder ein Geschenk brachte. „Bei solchen Geschichten horchen die Kinder mit großen Augen – es ist toll“, erzählt Gerti. Sie genießt es, sich mit Menschen auszutauschen, die mit ihrer Welt sonst nicht in Kontakt kommen würden, und die Gewissheit zu haben, dass sie auf dem Tiefhof Tage verbringen, an die sie sich ihr Leben lang erinnern werden. Achtzig Prozent der Übernachtungen auf dem Hof entfallen auf Stammgäste.
Hany Plattner gibt ihr Wissen gerne an ihre Gäste weiter. © Hörterer Lisa
Dass die Menschen nicht nur deshalb Urlaub auf einem Bauernhof machen, weil sie in einer herrlichen Idylle entspannen möchten, weiß auch Hany Plattner-Dvorak. Sie ist die Bäuerin des Thumeserhof im Schmirntal, Luftlinie keine zehn Kilometer von der Brennerautobahn entfernt. In Wirklichkeit liegen zwischen der Verkehrsachse und dem wildromantischen Tal Welten.
Die Kühe füttern am Bauernhof.
Ein Tal wie eine stille Oase
Das Schmirntal ist für die Aktivtage geeignet wie kaum eine andere Gegend in Tirol: In der kleinen Gemeinde leben nur wenige Menschen, ihre Häuser und Höfe stehen leicht verstreut auf den saftigen Talwiesen, eingerahmt von einer wuchtigen Bergkulisse. Die Almwirtschaft prägt seit Jahrhunderten das Ortsbild, sonst ist die Natur so gut wie unberührt, ein Tal wie eine stille Oase. Hier kann man in das Leben der Bergbauern voll und ganz eintauchen, es dauert nicht lang, bis man alle Überbleibsel von Hast und Hetze abgestreift hat. Spätestens nach dem ersten Tag ist man auch nicht mehr verwundert, dass der einzige Supermarkt im Tal drei Stunden Mittagspause macht.
Thumeserhof und Nachbarhöfe. © Lisa Hörterer
Wer von Ende Juni bis Mitte Juli den Thumeserhof besucht, könnte – je nach Ansichtssache – Glück oder Pech haben: Dann muss das Heu eingebracht werden, an den Steilhängen der Alm wird fast alles noch von Hand gemacht, viel Arbeit, die in kurzer Zeit erledigt werden muss. „Wir spannen alles und jeden ein“, lacht Hany. Die meisten Gäste empfinden es wohl eher als Glück. „Die Arbeit ist anstrengend, aber das Gemeinschaftsgefühl ist immer fantastisch“, sagt Hany. Am Ende eines solchen Sommertages darf der Gast dann zurecht stolz auf sich sein. Und wer weiß, vielleicht hat Hany ja eine gute Kräutersalbe, die den müden Gliedern hilft.