Tirol erklärt: Wie das Wetter im Sommer sein wird
Regenbogen über dem Axamer Kögele.
Bauernregeln versprechen eine übermenschliche Gabe: Mit Sprüchen und Lebensweisheiten sollen sie über einen langen Zeitraum das Wetter prophezeien. In Wahrheit ist das Wetter in sechs Monaten für uns genauso ein Rätsel wie für die Menschen im alten Ägypten, im antiken Italien oder im mittelalterlichen Zentraleuropa. Vor allem in der Landwirtschaft geht es in puncto Wetter um mehr als nur den Freizeitspaß, nämlich um die Lebensgrundlage. Daher haben Menschen schon vor Jahrhunderten begonnen, kleine Aphorismen festzuhalten, die in gereimter Form anhand von Beobachtungen an sogenannten „Lostagen“ das Wetter vorhersagen sollen. Obwohl die moderne Meteorologie den Regeln skeptisch gegenübersteht, gibt es heute noch viele Bäuerinnen und Bauern, die einen Blick in den Tiroler Bauernkalender werfen.
St. Luzen macht den Tag stutzen, dann hebt er wieder an zu langen, und die Kälte kommt gegangen
Martin Klingler ist der Mann, der jedes Jahr den Tiroler Bauernkalender zusammenstellt. In dem im 106. Jahrgang und mit einer satten Auflage von 45.000 Stück erscheinenden Druckwerk finden sich neben redaktionellen Inhalten rund um das Thema regionale Landwirtschaft die besagten Bauernregeln. Monat für Monat findet man dort die „Lostage“, die Heilige oder den Heiligen, der oder dem er gewidmet ist und einen oft archaisch gereimten Spruch. Für den 16. Oktober heißt es dort zum Beispiel: „Trocken am Sankt-Gallus-Tag verkündet einen trockenen Sommer“.
„Die Sprüche, die wir in den Kalender geben, stammen aus dem Wissensfundus, den viele Generationen von Menschen zusammengetragen haben“, erklärt Klingler den Ursprung der Regeln. Über Jahrhunderte hinweg hätten Menschen in der Landwirtschaft Beobachtungen über Regelmäßigkeiten im Wetter angestellt und dokumentiert. Den aufgestellten Regeln machte aber gerade der Kalender selbst einen Strich durch die Rechnung: Schon seit der Zeit der Frühen Hochkulturen in Mesopotamien und Ägypten gab es Bestrebungen, das Jahr kalendarisch zu regeln. Mit zahlreichen Reformen – am berühmtesten sind dabei die julianische und die gregorianische Kalenderreform – versuchte man, den Kalender immer genauer festzusetzen. Durch diese Änderungen wurden im Laufe der Geschichte Tage hinzugefügt, abgezogen oder ganz ausgelassen. Für die Bauernregeln, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind, hat das Auswirkungen. „St. Luzen macht den Tag stutzen, dann hebt er wieder an zu langen, und die Kälte kommt gegangen“, lautet etwa eine Regel für den 13. Dezember. Die Rede ist natürlich von der Wintersonnenwende, die eigentlich nicht am Tag der Heiligen Luzia (lat. „die Leuchtende“), sondern erst vom 22. auf den 23. Dezember stattfindet. Martin Klingler kennt das Problem: „Es ist eine eigene Wissenschaft, welche Bauernregel gültig ist – die nach dem gregorianischen, oder nach dem julianischen Kalender“.
Ein banger Blick in den Himmel. Für viele Tiroler Landwirte ist die Wetter-Entwicklung von existentieller Bedeutung. Foto: Tirol Werbung/Sebastian Höhn
Wenn neues Eis Matthias bringt, so friert’s noch 40 Tage
Der technische Fortschritt in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Erfindung der Telegrafie und neuer meteorologischer Messgeräte führte zur Gründung der ersten Wetterdienste. „Österreich war hier weltweit Vorreiter. Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik wurde im Jahr 1851 gegründet und ist der älteste Wetterdienst der Welt“, weiß der Meteorologe Manfred Bauer von der ZAMG. Die Frage nach dem Nutzen und der Genauigkeit der Bauernregeln ist für Bauer nicht ganz klar zu beantworten. „Wenig bis keinen Wert haben Bauernregeln, die vom Wetter an einem Tag auf das Wetter in einigen Wochen oder gar Monate später schließen, etwa einzelne Lostage“, erklärt der Experte. Nützlicher können laut Bauer die Regeln sein, die auf die Beständigkeit des Wetters schließen. Tatsächlich komme es in der Natur manchmal vor, dass sich „Phasen ähnlicher Witterung“ einstellen. „Wenn neues Eis Matthias bringt, so friert’s noch 40 Tage“, ist ein Beispiel für eine „Bleibt es“-Regel. Bei solchen Regeln kann die Trefferquote statistisch gesehen über die zufälligen 50 Prozent hinausgehen. Zu 100 Prozent, so der Meteorologe, könne keine Bauernregel stimmen.
Auch aufgrund der Vorstellung von „schönem“ Wetter würde es bei den Bauernregeln oft zu Missverständnissen kommen. Mit einem heißen, trockenen Sommer hätten wir heute vielleicht eine Freude, für einen Menschen im Mittelalter wäre ein regenloser Sommer der Untergang für die eigene Landwirtschaft.
Kurzfristige und punktuelle Wettereignisse wie dieses Gewitter im Sellrain sind mit HIlfe von Bauernregeln kaum vorhersehbar. Foto: Tirol Werbung / Patrick Centurioni
Die astrologischen Garten-Pflanzzeiten und Holzfällerregeln sind mindestens genauso wichtig wie die Bauernregeln
Ein vollständiges Rätsel für Laien bleibt die Wettervorhersage trotz der ernüchternden Zahlen nicht. Wer das Wetter gut beobachtet, der kann im Stundenbereich durchaus Wetterphänomene vorhersagen. „Für eine seriöse Mehrtagesvorschau ist man in der heutigen Zeit aber gut beraten, den Vorhersagen lokaler Meteorologinnen und Meteorologen zu vertrauen“, rät Bauer. Aus diesem Grund schätzt auch Martin Klingler den Agrarwetterservice, der in der Vegetationszeit von April bis Ende Oktober telefonisch Rede und Antwort steht. Mehr als 130.000 Anrufe jährlich erhalten die Mitarbeiter des Service, der von der ZAMG betrieben wird. Was das Pflanzen und Ernten betrifft, glauben viele Menschen an den Einfluss des Mondes auf die Witterung. Auch im Bauernkalender sind die Mondphasen vermerkt. „Die astrologischen Garten-Pflanzzeiten und Holzfällerregeln sind mindestens genauso wichtig wie die Bauernregeln“, erklärt Martin Klingler die Präferenzen seiner Leser. Aus wissenschaftlicher Sicht hat der Mond keinen Einfluss auf das Wetter, wie Manfred Bauer weiß: „Es gibt zahlreiche Studien, die einen solchen Einfluss versucht haben zu finden, aber es gibt keinerlei Belege dafür – es ist Aberglaube.“ Auch wenn die Bauernregeln heute keinen großen praktischen Nutzen mehr haben, erinnern sie doch an eine Zeit, in der die Menschen von der Natur abhängig waren, und nicht umgekehrt.
Martin Klingler produziert den Bauernkalender.
Manfred Bauer von der Zamg.