Die Idee: Als einigermaßen fitter Mensch aber ohne großartige Erfahrung im…
Teil 2: In den Stromschnellen
Die Idee: Als einigermaßen fitter Mensch aber ohne großartige Erfahrung im Alpinsport begibt sich unser Autor in die Hände von Profis, die ihn auf Unternehmungen mitnehmen, zu denen er allein niemals imstande wäre. Für Teil zwei der Extremsporterlebnisse stürzt sich unser Autor geradewegs in die Stromschnellen.
Der Fluss nimmt Fahrt auf, rauscht über das verblockte Flussbett, bäumt sich zu einer stehenden, sich überschlagenden Welle auf. Wir steuern geradewegs auf sie zu, das Wasser verschluckt mich und ich mich an ihm. Wie ein umgekehrter Zaubertrank verwandelt es mich in 75 Kilogramm nutzloses Gewicht an der Spitze eines Kanadiers. „Paddeln, Paddeln, Paddeln!“, schallt die Stimme von Luggi, meinem Guide. Ich erinnere mich an das Ding in meinen Händen und ziehe mit aller Kraft durch. Wir bleiben auf Kurs, in der Mitte des reißenden Stroms, und schaukeln über die verbleibenden Stromschnellen. Nass und außer Atem gleiten wir aus dem „Rohrbrückenschwall“, der ersten Bewährungsprobe auf unserer Tour durch die Imster Schlucht.
An Land erklärt Luggi, worauf es beim Kanadierfahren im Wildwasser ankommt.
Durch die Imster Schlucht nach Haiming
Eine Stunde zuvor auf einem Schotterparkplatz bei Imst: Zur Sicherheit wiederholt Luggi, worauf es beim Kanadierfahren im Wildwasser ankommt: „Immer schön Paddeln und mit der Bootsnase voran in die Wellen“ – wenn man sich einfach treiben lässt, verliert man schnell die Kontrolle über das Boot. Ich frage mich, ob ich die vielen neuen Kommandos und Zeichen abrufen kann, sobald wir in die ersten Walzen und Stromschnellen geraten. Kurze Zeit später kenne ich die Antwort. Aber deshalb habe ich ja einen Profi mit an Bord.
Nach dem Waschgang im „Rohrbrückenschwall“ gönnt uns der Inn eine Verschnaufpause. Wir lassen uns treiben und ich bewundere das Naturschauspiel der Imster Schlucht: das türkis schimmernde Wasser des Inns vor dem sattgrünen Bergwald, die silbergrauen Gipfel der Mieminger Kette vor dem strahlend blauen Himmel. Das Wasser klatscht geräuschvoll gegen die Seitenwände unseres Kanadiers. Es sieht so einladend aus, dass man eigentlich sofort hineinspringen möchte – hätte es nicht diese frostigen sieben Grad.
Mit kräftigen, gleichmäßigen Paddelschlägen surfen wir durch die nächste Passage von Stromschnellen, finden die perfekte Linie. Ich beginne, das Kräftemessen mit dem Wasser zu genießen. „Freu dich nicht zu früh“, sagt Luggi, der mein aufkeimendes Selbstbewusstsein bemerkt. „Die Memminger-Walze kommt erst noch.“ Es ist die Schlüsselstelle unserer Tour, benannt nach ihrem Entdecker Hans Memminger, der in der Wildwasser-Szene Legendenstatus genießt. Für Filmaufnahmen war er damals auf der Suche nach einer Walze, in der man sich auch mit einem langen Kanu überschlagen kann – und wurde auf dem Inn fündig.
Wussten Sie...
...dass in Österreich nur die Donau mehr Wasser als der Inn führt? Die hohe Fließgeschwindigkeit in Kombination mit engen Kurven macht die 15 km lange Strecke durch die Imster Schlucht bis nach Haiming zum Paradies für Wildwassersportler.
Finale an der Memminger-Walze
Dann ist es auch schon so weit: Der Fluss macht eine leichte Rechtskurve, verengt sich, wird in ein Korsett gepresst. Die Wassermassen bilden eine meterhohe Wand, auf die wir unweigerlich zusteuern. Zum Aussteigen ist es zu spät. Gegen die Strömung anzupaddeln ein hoffnungsloses Unterfangen. In diesem Moment verstehe ich das Suchtpotential des Wildwassersports.
Es ist der Nervenkitzel des Unausweichlichen. Mittlerweile weiß ich, was zu tun ist: Volle Kraft voraus! Vorsorglich brüllt es mir Luggi trotzdem noch mal zu: „Paddeln, Paddeln, Paddeln!“ Ich gebe alles, was sich in Anbetracht der Kraft des Wassers wie nichts anfühlt. Unser Kanadier geht auf Talfahrt, wird sogleich wieder nach oben gerissen und schießt über den Scheitelpunkt der Walze. Mit einem lauten Klatschen landen wir auf der anderen Seite.
Kurz darauf beruhigt sich das Wasser wieder, fließt dahin, als wäre nichts gewesen. Mein Puls rast noch, als auf der rechten Seite eine Flussmündung auftaucht: die Ötztaler Ache. Je nach Wasserstand ist sie an der Grenze der Befahrbarkeit, zählt zu den schwierigsten Strecken Europas. Auf ihr werden immer wieder Welt- und Europameisterschaften ausgetragen. „Dafür braucht es schon Erfahrung“, erklärt Luggi, während er mit ernster Miene auf die Mündung blickt. Ein paar Kilometer später, kurz vor dem Ausstieg in Haiming, kentern wir dann doch noch. Ein geplantes Manöver, Abkühlung nach der anstrengenden Paddeltour.
Geplantes Kentern am Ende unserer Tour.
Ich lasse mich rücklings treiben, die Ohren unter der Wasseroberfläche, um dem geschäftigen Rasseln von zehntausenden Kieseln zu lauschen, die am Grund auf ihrem Weg in Richtung Schwarzem Meer sind. Wenn ich bisher eins gelernt habe, dann das: Viel Erfahrung braucht es nicht – aber den richtigen Guide.