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Nordische Kombination: Skispringen mit Physik

22.12.2022 in Sport

<p>Der Skisprungsport physikalisch erklärt. </p>

Sie gilt als die Königsdisziplin des Wintersports: die Nordische Kombination aus Skispringen und Langlaufen. Unsere Experten Manuel Fliri und David Pommer hatten alle Hände voll zu tun, uns die physikalischen Vorgänge und Kräfte zu erklären.

Der Traum vom Fliegen

Schon seit jeher hatte der Mensch den Traum vom Fliegen. Kein Wunder also, dass schon im 18. Jahrhundert norwegische Bergbauern so viel Spaß am Skispringen hatten, dass sich daraus eine eigene Sportart entwickelte. Welche Kräfte dabei auf sie wirkten, war den Pionieren von damals wohl ziemlich egal. Umso mehr interessiert es uns heute.

Ein Skisprung dauert nur wenige Sekunden, seine einzelnen Phasen sind aber äußerst komplex. Um weit zu springen und zudem noch gute Haltungsnoten zu bekommen, muss alles zusammenstimmen: Anlauf, Absprung, Flug und Landung.

 

Phase 1: Der Anlauf

Die Ampel springt auf Grün. Der Trainer gibt die Freigabe. Showtime! Sobald man den Balken verlässt, gibt es kein Zurück mehr. Der Wettkampf beginnt. Und exakt das ist auch der Zeitpunkt, an dem wir beginnen, genauer hinzusehen.

Für einen möglichst weiten Sprung gilt es, mit höchstmöglicher Geschwindigkeit den Schanzentisch zu erreichen. Wenn man als Laie beim Skispringen zusieht, könnte man meinen, dass ganz zu Beginn noch viel Potential liegt.

Warum stößt man sich nicht mit aller Kraft vom Balken ab? „Man würde verkrampfen, den Schwerpunkt verlagern und an den seitlichen Begrenzungen der Spur streifen. Dadurch wird Reibung generiert. Und die bremst“, stellt David Pommer klar. Relevant für die Geschwindigkeit sind nämlich gleich mehrere Kräfte: die Gewichtskraft, die Reibkraft und die Strömungskräfte.

<p>Anlauf</p>

Die Gewichtskraft wirkt grundsätzlich immer zum Erdmittelpunkt - also nach unten. Diese Kraft kennen wir alle. Und diese Kraft ist es auch, die das Fliegen so schwer macht. In unserem Fall lässt sie sich in zwei senkrecht zueinanderstehende Komponenten zerlegen: in eine zur Fahrt parallel gerichteten Kraft – die Hangabtriebskraft - und eine zur Fahrt senkrecht gerichteten Kraft – die Normalkraft. Der Anteil der beiden Kräfte hängt dabei von der Neigung der Anlaufspur ab: Je steiler die Anfahrt, desto größer ist der Anteil der Hangabtriebskraft. 

Was in der Flugphase von Nachteil ist, wirkt sich im Anlauf positiv aus: Je schwerer ein Springer oder einer Springerin ist, desto größer sind die Gewichtskraft und damit auch die Geschwindigkeit.

Um das Vermeiden unserer zweiten Kraft kümmern sich neben den Springer:innen selbst auch deren Serviceleute. Viel wird an der Wahl des richtigen Wachses getüftelt, um die so genannte Reibkraft so gering wie möglich zu halten. Diese ist abhängig von der Beschaffenheit des Skibelags und der Anlaufspur, welche mittlerweile fast ausschließlich künstlich gekühlt wird und seitlich mit Plastikwangen begrenzt ist. David hat bereits erwähnt, dass die Anfahrtsposition so optimiert werden muss, dass die Reibkraft durch das Streifen an diesen Wangen so gering wie möglich gehalten wird.

Und noch einen Faktor gilt es zu berücksichtigen, der für die Reibkraft entscheidend ist: die Anpresskraft. Sie ist die Differenz zwischen der Normalkraft der Gewichtskraft und dem Auftrieb.

Wobei wir schon beim nächsten Thema wären. Der Auftrieb ist neben der Luftwiderstandskraft eine der beiden Strömungskräfte, die im Anlauf wirken. Beide sind abhängig vom Gegen- oder Rückenwind. Wer gerne auf dem Rennrad unterwegs ist, weiß, dass Luftwiderstand bremst und eine möglichst aerodynamische Position entscheidend ist, um schneller vorwärtszukommen.

So, wie erreichen wir jetzt die angepeilte maximale Geschwindigkeit? Durch eine möglichst hohe Hangabtriebskraft auf der einen und möglichst geringer Reibungs- und Luftwiderstandskraft auf der anderen Seite. Wäre der Anlauf der einzig relevante Faktor beim Skispringen, würde die Devise demnach lauten: Essen, Wachseln und klein machen.

Soweit alles klar? Auf zu Phase zwei.

Phase 2: Der Absprung

Wenige Hundertstelsekunden entscheiden beim Skispringen über Sieg oder Niederlage. Nein, die Zeit wird natürlich nicht gestoppt. Vor allem beim Absprung vom Schanzentisch kommt es aber auf exaktes Timing an. Man muss sich vorstellen, dass man bei einer Anfahrtsgeschwindigkeit von 93 km/h in einer Hundertstelsekunde ganze 26 Zentimeter weit fährt. Die Absprungkante auf den Zentimeter genau zu treffen, scheint daher fast wie ein Ding der Unmöglichkeit. Trotzdem ist genau das das Ziel. Ist man zu früh dran, verschenkt man Weite. Wer zu spät abspringt, kann keinen Absprungdruck mehr aufbringen.

All das hat aber noch gar nicht so viel mit Physik zu tun. Erst wenn wir über die Absprungkraft und die daraus resultierende Effektivgeschwindigkeit sprechen, kommt unser Physik-Experte Manuel Fliri richtig in Fahrt.

Der Absprungwinkel einer Schanze ist um circa 10 Grad nach unten geneigt. Je stärker man abspringt, desto weiter kann man diesen Winkel anheben. Wenige Grad Veränderung haben anfangs zwar nur minimalen, mit andauernder Flugphase aber immer mehr Einfluss auf die Flugkurve und damit auf die Sprungweite.

<p>Der Absprung und das richtige Timing.</p>

Klingt logisch: Einfach mit aller Kraft nach oben wegspringen, oder? Schön wär’s. So leicht ist es leider nicht. Nur kräftig nach oben wegzuspringen würde sich nämlich gravierend auf die Flugposition auswirken. Nach vorne wegspringen lautet das Rezept.

Man kann es sich wie eine Hechtrolle mit geschlossenem Sprunggelenk vorstellen. Das macht am Boden freiwillig niemand. Gegen den Reflex, nicht nach vorne wegspringen zu wollen, muss man ankämpfen. Das ist die größte Überwindung beim Skispringen
David Pommer

Im anschließenden Flug sollten die Strömungskräfte in einer idealen Kombination zueinander stehen, um der Schwerkraft möglichst gut entgegenzuwirken. Wird der Körper beim Abspringen aufgerichtet, erhöht sich die Angriffsfläche und die Luftwiderstandskraft nimmt schlagartig zu. Um ehestmöglich die ideale Flugposition einzunehmen, werden am Absprung deshalb zuerst die Beine und erst anschließend der Oberkörper gestreckt. David: „Der Körper muss eine Linie von Kopf bis Fuß sein. Ziel ist es, das System so schnell wie möglich zu schließen. Der Körper geht zum Ski, der Wind drückt die Ski nach oben. Den Absprung mit Selbstvertrauen durchzuziehen ist noch wichtiger, als die Kante genau zu treffen. Erst dann geht’s dahin.“

Genau, dann geht’s dahin. Jetzt beginnt nämlich der schönste Teil des Skispringens: Das Fliegen.

Phase 3: Der Flug

Wie fühlt sich so ein Flug eigentlich an, David? „Jemandem, der noch nie gesprungen ist, ist das gar nicht so leicht zu erklären. Man spürt in der Luft keinen Druck unter dem Ski - nur direkt unter dem Fuß. Es ist ein richtig stabiles, sattes Gefühl, wie auf einem Luftpolster. Man nimmt die Geschwindigkeit wahr und wird eine Einheit mit dem Ski.“

Klingt wunderschön, oder? Es ist immer wieder beeindruckend, wenn man den Skispringer:innen beim Fliegen zusieht. Ästhetisch, ruhig und kraftvoll. Buchstäblich kraftvoll, wenn auch ein Physiker dabei ist.

Wer gut aufgepasst hat, kennt die Kräfte, die während des Flugs wirken, schon vom Anlauf. Die Gewichtskraft zieht nach unten, der Luftwiederstand wirkt entgegen, die Auftriebskraft senkrecht zur Bewegungsrichtung. Wir haben es schon verraten: Im Gegensatz zum Anlauf bekommt die Auftriebskraft hier einen viel höheren Stellenwert. Zusammen mit der Luftwiderstandskraft ergibt sich die effektive Strömungskraft, die die nach unten wirkende Gewichtskraft verringert. Je höher diese Strömungskraft, desto langsamer werden die Springer:innen Richtung Boden gezogen.

Ziel ist es logischerweise, so lange wie möglich in der Luft zu bleiben. Die Frage lautet also: Wie kann eine möglichst hohe Strömungskraft erreicht werden? Manuel Fliri hält die Antwort simpel: „Mit hoher Geschwindigkeit durch schnelles Anfahren und großer Angriffsfläche durch eine entsprechende Flugposition.“ Bei letzterem helfen neben der nach vorne gebeugten Körperposition und dem V-Sprungstil auch lange Sprungski und ein spezieller Anzug. Diese beiden Faktoren sind aber reglementiert. Wie lang die Ski sein dürfen, hängt beispielsweise vom Gewicht der Springer:innen ab, welches massiven Einfluss auf die Gewichtskraft hat. Der Anzug bringt durch seinen weiten Schnitt eine Flächenvergrößerung, die nicht nur mehr Angriffsfläche, sondern auch Stabilität bringt. Hautenge Anzüge würde das System viel anfälliger und das Springen damit gefährlicher machen.

Was uns brennend interessiert: Was müsste eigentlich passieren, wenn wir wirklich fliegen wollten? „Dazu müsste die effektive Strömungskraft gleich groß sein wie die Gewichtskraft“, erklärt Manuel Fliri. „Dann würde der Skispringer nicht nach unten fallen und tatsächlich fliegen.“

Da dies, wie wir alle wissen, nur ein Wunschtraum ist, ist es Zeit, uns auf die letzte Phase vorzubereiten. „Crew, prepare for landing.“

Phase 4: Die Landung

Der Telemark. Die perfekte Landung. Gar nicht so einfach, wie es aussieht. Manuel Fliri versucht uns die Schwierigkeiten ein bisschen besser fassbar zu machen.

<p>Landung und Telemark. </p>

Der entscheidende Faktor bei der Landung ist neben der Geschwindigkeit der Winkel zwischen Bewegungsrichtung und Boden. Leichter und sanfter landet man, wenn dieser möglichst flach ist. Das hängt unter anderem von der Sprungweite ab. Beim viel zitierten K-Punkt, dem Konstruktionspunkt der Schanze, ist die Landung am steilsten und der Landewinkel am kleinsten. Angenommen eine Springer:in landet dort mit einer Geschwindigkeit von 72 km/h. Dies würde bei einem Winkel von 10 Grad einem Fall aus 60 Zentimetern entsprechen. Die Telemark-Landung ist hier noch relativ einfach. Nähert man sich mit seinem Sprung der Hillsize oder überspringt diese sogar, wird der Aufsprung immer flacher. Der Landewinkel und die Kräfte werden im Gegenzug größer und ein Telemark immer schwieriger. Statt eines Telemarks sehen wir Zuschauer dann meist eine beidbeinige Kacherl-Landung.

Und diese sehen auch die strengen Punktrichter. Mit ihrer Bewertung des Flugs, der Landung und der Ausfahrt kommt zusammen mit der Sprungweite und etwaigen Wind- und Gate-Kompensationen die Gesamtpunktezahl zustande.

Durchatmen.

Der erste Teil der Nordischen Kombination wäre geschafft. Zeit für eine kurze Pause.

Mit frischer Energie geht’s weiter mit Teil zwei – dem Langlaufen. Stay tuned.

In seiner aktiven Zeit als Skirennläufer lernte Magnus Walch Tirols Berge vor allem im Winter kennen. Jetzt trifft man den gebürtigen Vorarlberger dort auch im Sommer immer öfter beim Biken, Bergsteigen und Klettern.

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