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Peter Künzel

Das Haus am Gletschermeer

Aktualisiert am 09.06.2022 in Menschen

Das Brandenburger Haus liegt auf 3.277 Meter über Seehöhe.Das Brandenburger Haus liegt auf 3.277 Meter über Seehöhe.

Die höchsten Hütten der Alpen, weit entfernt von jeder Zivilisation, haben seit jeher eine ganz besondere Faszination ausgestrahlt. Wie Basecamps sind sie der Brückenkopf in eine hochalpine Welt, die ansonsten für die meisten fast unerreichbar wäre. Ein besonders beeindruckender Bau ist das Brandenburger Haus auf 3.277 Metern Höhe, das vom Kaunertal und Ötztal in sechs bis acht Stunden erreicht werden kann. Es beherbergt seit mehr als 100 Jahren Bergsteiger – bewirtet wird es von einem jungen tschechischen Wirtspaar aus dem Pitztal.

Im Laufschritt springt Peter Kalina über die felsigen Stufen; der Lichtstrahl seiner Stirnlampe wischt über große Granitblöcke. Es ist drei Uhr nachts. Der Hüttenwirt des Brandenburger Hauses ist auf dem Weg ins Tal, nach Vent im hintersten Ötztal. Dort wird um sieben Uhr morgens der Hubschrauber Lebensmittel sowie Bier und Holz zum Haus fliegen. Noch ist es stockdunkel. Er erreicht den Gletscher, deckt sein Ski-Doo ab, startet es und gibt Gas. Für die knapp zwei Kilometer über den Kesselwandferner und kleine Transporte hat er das Schneemobil extra herauffliegen lassen. Wie ein Lichtpunkt gleitet er über die aufgefrorenen Flächen des Kesselwandferners. Gemeinsam mit dem angrenzenden Gepatschferner bildet dieser die größte zusammenhängende Gletscherfläche Österreichs: Achtzehn Quadratkilometer Schnee und Eis.

Für die knapp zwei Kilometer über den Kesselwandferner und kleine Transporte hat Peter das Schneemobil extra herauffliegen lassen.Für die knapp zwei Kilometer über den Kesselwandferner und kleine Transporte hat Peter das Schneemobil extra herauffliegen lassen.

Insgesamt viermal fliegt der Hubschrauber heute. Alles eng getaktet, weil jede Flugminute mehr als dreihundert Euro kostet. Peter muss das Packen der Paletten unten koordinieren. Seine Frau Katerina und ihr kleines Team nehmen dann am Haus die Ware entgegen. Insgesamt werden sie in diesem Jahr elf Tonnen Lebensmittel und Getränke auf diesem Weg geliefert bekommen.

Einen Kühlschrank benötigt man hier oben nicht.Einen Kühlschrank benötigt man hier oben nicht.

Was hoch kommt, muss auch irgendwann wieder runter.Was hoch kommt, muss auch irgendwann wieder runter.

Die Versorgung der höchsten Hütten der Alpen ist bis heute eine logistische Herausforderung. Höher als das Brandenburger Haus liegt in Österreich nur die Erzherzog-Johann-Hütte auf der Adlersruhe am Großglockner mit 3.454 Metern. Insgesamt gibt es in ganz Österreich nur fünf bewirtschaftete Hütten über 3.000 Metern. Die Saison ist aufgrund der Höhe meist nur wenige Monate möglich. Die Distanzen bis zum nächsten befahrbaren Weg sind oft erheblich: Allein in der direkten Luftlinie liegt der nächste Ort zehn Kilometer vom Brandenburger Haus entfernt. Zu Fuß sind es im Zustieg fast sechs Stunden aus Vent. Und: 1.600 Höhenmeter. Alle Anstiege führen über Gletscher und erfordern wegen der Spalten hochalpines Know-how. Seit Anfang der 1980er Jahre wird die Hütte aufgrund dieser Widrigkeiten deshalb mit dem Hubschrauber versorgt. 

Alle Anstiege führen über Gletscher und erfordern wegen der Spalten hochalpines Know-how.Alle Anstiege führen über Gletscher und erfordern wegen der Spalten hochalpines Know-how.

Zu Fuß sind es im Zustieg fast sechs Stunden aus Vent. Und: 1.600 Höhenmeter. Da sollte das Equipment stimmen.Zu Fuß sind es im Zustieg fast sechs Stunden aus Vent. Und: 1.600 Höhenmeter. Da sollte das Equipment stimmen.

Im ersten Morgenlicht startet der Pilot mit der ersten Palette im Talgrund Richtung Brandenburger Haus. Nur knapp fünf Minuten braucht der Hubschrauber für den Flug aus Vent. An einem 25 Meter langen Seil ist ein Netz mit der Lebensmittel-Palette befestigt. Der Pilot muss sie präzise auf der Terrasse des Brandenburger Hauses absetzen – wegen der Höhe und der oftmals rauen Winde hier oben ausschließlich ein Job für erfahrene Profis. Katerina Kalinova, die Hüttenwirtin, nimmt die Palette in Empfang. Auch der Koch Pavel packt mit an. Alle helfen mit, um bis zum nächsten Anflug die Vorräte im Keller verräumt zu haben. Die tschechischen Freunde haben sich im Sommer 2021 zusammengetan, um die Bewirtschaftung des Hauses zu übernehmen.

Katerina und Peter haben sich als Skilehrer kennengelernt und zogen vor fünf Jahren gemeinsam ins Pitztal. Ihre Leidenschaft sind die Berge. Den Heiratsantrag machte ihr Peter auf dem Gipfel des Mont Blanc. Miteinander waren sie auf dem argentinischen (knappen) 7.000er Aconcagua. Peter war mit einer tschechischen Expedition am Manaslu im Himalaya. Die beiden sind bergbegeistert, im besten Sinne. Als sie von der Ausschreibung der Sektion Brandenburg erfuhren, war schnell klar, dass das ihr Traum sein könnte: Hüttenwirte über dem Gletschermeer. 

Sie bekamen den Zuschlag. Peter ist als Ingenieur technisch vielseitig begabt und handwerklich versiert. Katarina ist als erfahrene Skilehrerin stressresistent und eine offenherzige Gastgeberin. Ihren gemeinsamen Freund Pavel konnten sie für die Küche gewinnen. Er hat in Prag bereits in einem Sternerestaurant gekocht, arbeitet den Winter über in Kitzbühel in der Spitzengastronomie und bereitet hier oben mit Blick über die Gletscher unter anderem seine Lieblingsvariante von Buchteln zu – mit Quark in einer reduzierten Rumsauce mit Rosinen und Joghurt. Von anderen Freunden wird das Bier aus Tschechien geliefert. Die Resonanz der Gäste zeigt, dass diese Art der kulinarischen Völkerverständigung auch im Hochgebirge bestens funktioniert.

Das Haus zu betreiben, fordert alle praktisch rund um die Uhr. Aber wenn sie von ihrem neuen Leben als Hüttenwirte erzählen, leuchten ihre Augen.Das Haus zu betreiben, fordert alle praktisch rund um die Uhr. Aber wenn sie von ihrem neuen Leben als Hüttenwirte erzählen, leuchten ihre Augen.

Pavel kümmert sich um die Verpflegung der Gäste.Pavel kümmert sich um die Verpflegung der Gäste.

Arbeitsplatz mit Aussicht.Arbeitsplatz mit Aussicht.

Überhaupt ist das Haus ein Ort der internationalen Begegnungen: In nur wenigen Tagen kann man hier halb Skandinavien treffen, Bergsteiger aus Dänemark, Norwegen und Schweden, aber auch Holländer, Italiener, Spanier, Amerikaner und Australier kommen hier her – und Tiroler von beiden Seiten des Alpenhauptkamms. Sie kommen über die verschiedensten Zustiegsvarianten. Sei es aus dem Kaunertal oder dem Ötztal oder wesentlich weiter aus dem Pitztal oder gar den Südtiroler Tälern Langtauferertal oder Schnalstal.  Und alle sind begeistert von der Lage. „Unglaublich, wie entlegen das Haus hier ist“, staunt ein bergbegeisterter KI-Professor aus Portland, Oregon und blickt Richtung Weißseespitze.

Nur eine Hütte steht in Österreich noch höher als das Brandenburger Haus.Nur eine Hütte steht in Österreich noch höher als das Brandenburger Haus.

Die Faszination, die das Brandenburger Haus auslöst, ist ungebrochen. Die Lage ist unvergleichlich spektakulär. Dass der Standort überhaupt ins Blickfeld für einen Hüttenbau kam, hatte der Münchner Tierzuchtprofessor und Bergsteiger Emil Pott 1903 in einem Aufsatz für den Alpenverein angestoßen. Er machte darauf aufmerksam, dass von einem möglichen Haus am Joch des Kesselwandferners einige hervorragende „Eisgipfel“ und „großartige Gletscherwanderungen“ möglich seien, „ohne, dass man sich anstrengen müsste“. 

Das Problem war allerdings, dass es damals keinerlei Erfahrungen mit Bauprojekten dieser Dimension in derart exponierten Höhenlagen gab. Dass der dreistöckige Granitbau realisiert wurde, ist vor allem dem Engagement der Mitglieder der DAV Sektion Brandenburg zu verdanken. Über 700 Kilometer entfernt von ihrem Bauplatz gründeten sie einen Ausschuss aus Fachleuten und planten das Vorhaben und seine Finanzierung über Jahre. Der Bau selbst war wegen der Höhenlage immer nur über wenige Wochen im Hochsommer möglich. Noch heute zeugt ein verrosteter Steinbrecher von der harten Arbeit, die Granitblöcke vor Ort zu brauchbarem Baumaterial zu formen. Und im Eis des Kesselwandferners finden sich nach wie vor die Reste der Holzbalken des ersten Dachstuhls, den der Sturm noch im Bau weggerissen hatte. Aber nach fünf Jahren war es geschafft. Das Brandenburger Haus war fertig und von nun an eine der höchsten Hütten der Ostalpen.

Das Staunen war groß: Nach der Eröffnung im Jahre 1909 titelte eine Berliner Zeitung: „Ein Hotel in 3.300 Metern Höhe.“ Und tatsächlich war der damalige Komfort bemerkenswert, wie der Ortschronist des Kaunertals, Martin Frey, in alten Dokumenten recherchiert hat. „Gaslicht in den beheizten Zimmern, ein Restaurant mit einem guten Dutzend Vorspeisen und Hauptgerichten, ein Weinkeller mit erlesenen Tropfen, eine Dunkelkammer zur sofortigen Entwicklung der Bergaufnahmen.“ Und in den Schlafräumen: die bekannten Steinerschen Sprungfedermatratzen.

Auch, wenn der Anspruch der Anfangszeit heute einem gewissen Pragmatismus Platz gemacht hat: Noch immer ist es erstaunlich, mit welchem Aufwand und ausgereifter technischer Unterstützung eine Hütte in dieser Höhe betrieben werden muss. Das Trinkwasser kommt aus Schmelzwasserquellen oberhalb der Hütte und wird von den Schneefeldern der Dahmannspitze gespeist. Eine Filteranlage befreit es von Sedimenten. Mit Hilfe einer UV-Bestrahlung werden mögliche Keime abgetötet. 

Peter geht regelmäßig die Quellen ab, sucht nach neuen Alternativen und verlegt die Rohre durchs felsige Gelände Richtung Haus. Er testet auch regelmäßig die Qualität des Wassers. Ohne die Schmelzwasserquellen könnte die Hütte nicht betrieben werden. 70 Kubikmeter Trinkwasser hat Peter auf diese Art im Jahr 2021 gewonnen. Dazu noch 40 Kubikmeter für die Toiletten und Waschanlagen.

Und das, obwohl es keine Duschen gibt und so der Wasserverbrauch ohnehin aufs Nötigste eingeschränkt wird. Bei knapp 2.000 Nächtigungen über zweieinhalb bis drei Sommermonate ist der Bedarf oftmals ohnehin hart an der Grenze des Möglichen. Peter rechnet stets, wie lange seine Wasservorräte reichen, falls die Quelle einmal versiegen sollte – was bislang zum Glück aber noch nicht passiert ist.

Die Saison auf über 3.000 Metern ist kurz: Mitte Juni wird in der Regel aufgesperrt, und bis zum ersten Schnee im September bleibt das Brandenburger Haus dann durchgehend geöffnet. Den Strom generiert das Haus über eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. Auch sie wartet Peter regelmäßig. Ein spektakulärer Arbeitsort, wenn er angeseilt über das Dach balanciert. Und falls es mal im Sommer schneit – was tatsächlich immer wieder vorkommt –, befreit er die Panels sofort wieder vom Schnee, um schnellstmöglich wieder Energie zu erzeugen. Geheizt wird das Haus mit Holz und Briketts, allerdings nur in den beiden Gasträumen, der Küche und im Winterraum. Allein das braucht schon 4,5 Tonnen Heizmaterial. Alles vom Hubschrauber raufgeflogen.

Besucher aus aller Welt treffen sich hier oben. Besucher aus aller Welt treffen sich hier oben. 

Das Haus zu betreiben, fordert Katerina und Peter praktisch rund um die Uhr. Aber wenn sie von ihrem neuen Leben als Hüttenwirte erzählen, leuchten ihre Augen. Sie hoffen, dass ihrer ersten Saison noch mehrere Jahre auf dem Brandenburger Haus folgen werden. 

Auch der Hund von Katerina und Peter fühlt sich pudelwohl hier.Auch der Hund von Katerina und Peter fühlt sich pudelwohl hier.

Und die Gäste fühlen sich in der gemütlichen Stube pudelwohl.Und die Gäste fühlen sich in der gemütlichen Stube pudelwohl.

Und wenn sie dann doch einmal ein, zwei Stunden für sich haben, ziehen sie ihre Bergschuhe an und gehen zum Beispiel auf die Dahmannspitze, direkt hinter dem Haus. Das dauert nur eine halbe Stunde. Benannt ist der Berg nach dem Architekten des Brandenburger Hauses Richard Dahmann. Ein sehr schöner und wunderbar einfacher 3.000er, den man völlig unkompliziert noch vor dem Frühstück machen kann. Ein weiterer exklusiver Vorteil, wenn das Haus selbst schon auf 3.277 Metern Höhe liegt.
 

 

Peter Künzel, Autor und Bergfilmer, ist mit Blick auf den Wilden Kaiser aufgewachsen. Seine Dokumentarfilme führten ihn quer durch Tirol vom Glockner bis zur Weißkugel und unter anderem auch aufs Brandenburger Haus. Für Pavels Buchteln würde er jederzeit wieder die sechs Stunden hinauf laufen. 

Peter Künzel
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