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Tobias Moorstedt

Down Chill

Aktualisiert am 19.06.2023 in Magazin, Fotos: Florian Generotzky

Downhill-Mountainbiken wirkte auf unseren Autor lange wie ein Sport, der nur für professionelle Stunt-Leute geeignet ist. Kann man die Berge auch als Otto-Normal-Pedalist erobern?

3-2-1 … Take-off! Unser Autor auf einer Rampe der Abfahrt „Milky Way“: klingt süß und träumerisch, bringt Anfänger aber mit vielen Steilkurven und zerbombten Abschnitten an ihre Grenzen.3-2-1 … Take-off! Unser Autor auf einer Rampe der Abfahrt „Milky Way“: klingt süß und träumerisch, bringt Anfänger aber mit vielen Steilkurven und zerbombten Abschnitten an ihre Grenzen.

Am Vorabend meines Einführungskurses in eine neue Welt blicke ich aus meinem Hotelfenster auf den 2.596 Meter hohen Oberen Sattelkopf. Vorfreude wäre vermutlich das falsche Wort. Die Bergflanke liegt wie eine unheilvolle, spitzige Silhouette vor dem Sommernachtshimmel. Fast unvorstellbar, dass ich am nächsten Tag von dort oben mit einem Fahrrad runterfahren soll – und dies auch überleben kann. Um einen besseren Eindruck vom Bikepark zu bekommen, suche ich im Internet nach Videos der Routen. Aber das ist ungefähr so beruhigend, als würde man im Netz nach Begriffen wie „Ausschlag“ oder „Schwindel“ suchen.

Acht unruhige Stunden später stehe ich an der Talstation der Waldbahn und freue mich, dass die Mitarbeiterin der „Bikeschule Serfaus-Fiss-Ladis“ nicht über meine Fahrradfähigkeiten sprechen will, sondern mich mit Helm, SpineProtector, Schulter-, Knie-und Schienbeinschonern ausstattet. Auch gegen einen Full-Body-Airbag hätte ich nichts, aber dann würde ich ja nicht mit dem Fahrrad runterfahren, sondern den Berg runterkugeln. Was auch Trendsportpotenzial hat. Aber vielleicht nächste Saison.

Umso größer meine Erleichterung, dass mein Lehrer Christian mich nicht sofort den Berg hochscheucht, sondern wir erst mal auf einen abseits gelegenen Schotterplatz rollen, wo ich mich ans Gerät gewöhnen kann. Genauer: mein Downhill-Moutainbike mit dem schönen Produktnamen „Rage“, Carbonrahmen, 16 Kilogramm. Der Slogan: „The only limit how fast you can go is you.“ Auf dem ebenen Schotterplatz fühle ich mich mit dem Teil, als würde ich mit einem Porsche 911 an einer Schülerverkehrsübung teilnehmen.

Down Chill

In der Rüstkammer der Bikeschule SerfausFiss-Ladis verwandelt man sich mit Helm, Brille und verschiedenen Protektoren in einen FahrradkriegerIn der Rüstkammer der Bikeschule SerfausFiss-Ladis verwandelt man sich mit Helm, Brille und verschiedenen Protektoren in einen Fahrradkrieger

Die ersten Schritte beziehungsweise Rollversuche macht unser Autor auf einem Schotterplatz in der Nähe des Bikeparks. Im Hintergrund die Ötztaler Alpen.Die ersten Schritte beziehungsweise Rollversuche macht unser Autor auf einem Schotterplatz in der Nähe des Bikeparks. Im Hintergrund die Ötztaler Alpen.

Ich übe also, mit dem voll gefederten Bike durch einen Pylonenkurs zu fahren, an einem vorab definierten Punkt sicher zu bremsen und durch eine Abund Aufwärtsbewegung meines Körpers über einen dünnen Ast zu springen – der sogenannte „Pop“. Dann lerne ich die Grundposition, die mein Coach „Trail Gorilla“ nennt; man steht aufrecht in den Pedalen, der Oberkörper über dem Lenker, die Ellbogen nach außen, Blick in Fahrtrichtung. Der martialische Name bestätigt mein Klischee, geht es wirklich nur um Dominanz und Aggressivität?

Alpine Verkehrserziehung: Nur wer durch den Parcours der Plastikhütchen steuern kann, darf auch auf den Berg.Alpine Verkehrserziehung: Nur wer durch den Parcours der Plastikhütchen steuern kann, darf auch auf den Berg.

Hier markiert kein Außerirdischer eine Ufo-Landezone, sondern Bike-Guide Christian legt einen Parcours, auf dem der Anfänger das Bremsen und Lenken übt.Hier markiert kein Außerirdischer eine Ufo-Landezone, sondern Bike-Guide Christian legt einen Parcours, auf dem der Anfänger das Bremsen und Lenken übt.

Allerdings mache ich immer wieder den Fehler, mich aus alter Gewohnheit auf den Fahrradsattel zu setzen. Aber beim Downhill-Biken steht man auf den Pedalen, damit die Kurven und Schläge nicht nur durch das Federungssystem abgefangen werden, sondern auch durch die Stoßdämpfer des menschlichen Körpers, also: Fußgelenke, Knie und Hüfte. „Sitzen und pedalieren tun wir eigentlich recht selten“, sagt Christian und erzählt, dass es einige Downhill-Biker gibt, die nicht mal eine Kette am Fahrrad haben, weil die nur stört.

Die wichtigste Downhill-Lektion habe ich verstanden: Mit Fahrradausflügen hat das alles wenig zu tun. Fahrräder waren für mich immer eher Werkzeuge denn Spielzeuge. Fortbewegungsmittel, um in der Stadt von A nach B zu kommen, ohne die schlecht gelaunten Gesichter und schlecht gelüfteten Körper der UBahn-Insassen ertragen zu müssen. Die steilste Strecke, die ich mit dem Fahrrad hinuntergefahren bin, ist die Bleichbergstraße in meinem hessischen Heimatort Kronberg, auf der man etwa 50 Höhenmeter bei 15 Prozent Gefälle runtersaust. Die 50 Stundenkilometer, die ich da mit dem Lastenrad erreiche, flößen mir Respekt ein – dabei ist die Straße breit und gut geteert. Wie werde ich mich offroad schlagen? Kann ich die Angst überwinden? Die Hand von der Bremse nehmen? Ohne Schnee sieht der Berg mit den spitzen Steinen und den fetten Wurzeln jedenfalls verdammt hart aus.

 Nach dem Schotterplatz fahren wir auf den Pumptrack, eine Rundbahn mit Steilkurven und vielen kleinen Wellen, auf der man üben soll – wie Christi - an erklärt –, mit Auf- und Abwärtsbewegungen des Oberkörpers, dem sogenannten Pumpen, „Geschwindigkeit aufzunehmen und zu regulieren“. Außer uns sind nur zwei Burschen im Grundschulalter auf der Bahn, die ähnlich souverän durch die Erdhügel- und -wellen cruisen wie mein Guide. Kinderkram also? Von wegen. Für mich als radwegverwöhnten Menschen ist es schon aufregend, mit Schwung über die etwa 1,50 Meter hohen Erdwellen zu fahren. Die Kunst ist dabei, nicht abzuheben, sondern das Momentum mit einer Aufwärtsbewegung des Körpers aufzufangen, um dann Lenker und Rad nach dem höchsten Punkt wieder runterzudrücken – so gleicht man nicht nur die Welle aus, sondern nimmt auch Speed auf. In der ersten Runde werde ich gründlich durchgerüttelt und unkontrolliert viel zu schnell, was eine Vollbremsung erfordert, was wiederum dazu führt, dass ich in der Steilkurve fast stehen bleibe und umkippe. Aber nach zwei, drei Runden bekomme ich ein Gefühl für den Rhythmus und die Topografie der Bahn. Nach weiteren zwei Runden bin ich total am Ende. Auf dem Pumptrack, keine Überraschung, geht einem ordentlich die Pumpe.

An der Waldbahn-Talstation auf 1.420 Metern über dem Meer erlebe ich einen Flashback in die Zeit meines ersten Skikurses: die Angst vor dem Liftfahren. Man muss das Sportgerät aufs Hinterrad wuchten und dann versuchen, sich durch die enge Tür der sich bewegenden Gondel zu zwängen. Ich schaffe es erst beim dritten Anlauf. Zum Glück sieht man den roten Kopf unter Helm und Brille nicht. Trotzdem ist diese Art des Berghochsteigens natürlich weit angenehmer, als die gut 400 Höhenmeter zum Startpunkt des Bikeparks auf staubigen Forststraßen hochzuschleichen. Aus dem Lift hat man den besten Überblick über die beeindruckende Anlage auf der bewaldeten Flanke des Unteren Sattelkopfes: Insgesamt gibt es neun Strecken im Park, die wie Skipisten blau, rot und schwarz kodiert sind. Zwar gibt es tirolerisch klingende Wegpunkte wie Sautrog oder Hirten Bichl, die Trails selbst haben aber Szenenamen wie „Milky Way“, „Morning Glory“ oder „Supernatural“.

Die Waldbahn bringt die Bikeparknutzer von 1.420 auf 1.840 Meter Seehöhe – die Fahrräder nimmt man mit in die Kabine, wenn man es durch die Tür schafft.Die Waldbahn bringt die Bikeparknutzer von 1.420 auf 1.840 Meter Seehöhe – die Fahrräder nimmt man mit in die Kabine, wenn man es durch die Tür schafft.

Verfolgungsjagd: Lehrer Christian gibt die Geschwindigkeit und die Linie vor, unser Autor versucht mitzuhalten. Erster Tipp: Beim DownhillMountainbiken setzt man sich nie auf den Sattel.Verfolgungsjagd: Lehrer Christian gibt die Geschwindigkeit und die Linie vor, unser Autor versucht mitzuhalten. Erster Tipp: Beim DownhillMountainbiken setzt man sich nie auf den Sattel.

Die ersten 100 Höhenmeter geht es über geschwungene Almwiesen, ich folge Christian, der Route und Geschwindigkeit vorgibt. Die Reifen haben ordentlich Grip, die Hochsommerluft riecht nach Kiefernharz und trockenem Gras – ab und an erlaube ich mir sogar einen Blick auf die 3.000 Meter hohe Bergkette gegenüber. Bevor ich mich aber dem Hochgefühl ganz hingeben kann, erreichen wir die Baumgrenze, und der Streckencharakter verändert sich: In engen S-Kurven fahren wir nun einen Steilhang runter, immer wieder kriege ich Panik, weil ich auf eine extreme Kurve zuschieße oder auf einem „zerbombten Trail“ fast die Kontrolle verliere – so nennt man besonders unebene Abschnitte, bei denen viele Vollbremsungen im Laufe der Zeit ein waschbrettartiges Muster in die Erde gegraben haben. In diesen Momenten verkrampft bei mir alles vom Bizeps bis zum Stammhirn, die einzige Lösung: Vollbremsung, was weder für die aktuelle Herausforderung noch fürs große Ganze (Waschbrett!) sinnvoll ist.

„Die meisten Unfälle passieren durch Verbremser“, sagt Christian. Er bringt mir bei, die Scheibenbremsen meines Bikes dosiert und nur mit einem Finger zu betätigen. Wichtig sei auch, vor oder nach einem Hindernis oder einer Kurve zu bremsen, aber nicht mittendrin. „Wenn du über ein Wurzelbrett fährst, lass die Federung die Arbeit machen“, sagt er, „je schneller du bist, desto stabiler bist du auf diesen Passagen unterwegs. Geschwindigkeit ist Sicherheit.“

Was mach ich hier? Nach dem Sturz von der Zweimeterrampe ist unser Autor sichtlich mitgenommen. Wer genau hinschaut, erkennt sogar eine kleine Verletzung.Was mach ich hier? Nach dem Sturz von der Zweimeterrampe ist unser Autor sichtlich mitgenommen. Wer genau hinschaut, erkennt sogar eine kleine Verletzung.

Und dann sind wir schon wieder an der Talstation. Zum Glück. Downhill klingt für Laien ja immer so, als könne man es einfach laufen lassen. Ich fühle mich, als hätte ich 200 Liegestütze gemacht. Nun ist mein Guide und Vorbild Christian kein muskelbepackter Bodybuilder auf Testosteron, sondern ein drahtiger, 1,70 Meter großer Typ, der seit zwanzig Jahren Mountainbike fährt und im Europokal bereits Podiumsplätze gesammelt hat. Er wirkt so freundlich, ausgeglichen und entspannt, dass man ihn im ersten Moment ehrlicherweise fast ein wenig unterschätzt. Aber dann fährt er eine Minute später für ein Fotomotiv mal schnell eine Abkürzung durch den Wald und springt mit einem Fünfmeterdrop über die Köpfe von Wanderern hinweg. Wie macht der das? Hat er keine Angst?

Down CHill

Christian Rakosy ist seit mehreren Jahren Guide im Bikepark Serfaus-Fiss-Ladis. Wenn er Anfängern nicht beibringt, auf dem Fahrrad in den Bergen zu überleben, dann fährt er Europacup-Downhill-Rennen und ist als Fahrrad-Stuntman in Filmproduktionen tätig. Die Bikeschule befindet sich an der Talstation der Waldbahn in Fiss und bietet Kurse für verschiedene Alters- und Könnensstufen an. Ein Technikkurs dauert zum Beispiel knapp drei Stunden und kostet 60 Euro.

„Es gibt zwei Möglichkeiten, seine Furcht zu kontrollieren“, sagt Christi - an, als wir wieder in der Gondel sitzen. „Gelände und Geschwindigkeit.“ Aha. Ich hatte ja eher auf konkrete Tipps wie Konzentrations- oder Atemübungen gehofft. Aber es ist natürlich trotzdem eine gute Regel: Fahr nicht im Schuss einen Steilhang runter, wenn du es nicht kannst. Das Mantra im Bikepark Serfaus-Fiss-Ladis lautet deshalb auch: Pre-Ride (Location Check), Re-Ride (Übung) und Free-Ride (Freiheit). „Aber muss man sich nicht überwinden, um weiterzukommen?“, frage ich. „Ah geh“, sagt Christian, „du musst dich nicht sofort über Riesenkicker drüberzwingen, wenn du sicherer wirst, dann verschiebt sich deine Komfortzone automatisch.“

Auf der Abfahrt sehe ich den „Strada del Sole“-Trail (Farbe: rot), bei dem man über eine 2,50 Meter hohe Almhütte fährt und runterspringt. Ich nehme mir vor, vor dem Ende meines zweitägigen Kurses von der Hütte runterzuspringen, behalte es aber für mich. Downhill-Mountainbiken, dachte ich lange, ist ein Sport, der nur für professionelle Stunt-Leute geeignet ist. Am Ende des ersten Tages bin ich erstaunt, wie niedrigschwellig der Einstieg ist: das 3.000 Euro teure Rad kann man sich in der Bikeschule leihen, und nach einem Einführungskurs liegt es an einem selbst, wie weit man kommt.

Am Morgen des zweiten Tages regnet es. Die Berge sind in den Wolken verborgen. Wir bleiben in der „Training Area“ in der Nähe der Talstation, wo man mit Schanzen unterschiedlicher Größe und Form das Fliegen lernen kann. „Es geht um Entschlossenheit und Körperspannung“, sagt Christian, kurz bevor ich über die kleinste, knapp einen Meter hohe Holzrampe im Park fahre. Mit Herzklopfen fahre ich los, mache kurz vor Ende der Rampe einen „Pop“ – und bin schon wieder zurück auf dem Boden. Mit einem Fließbandlift fahre ich wieder zum Startpunkt, wiederhole die Übung und wage mich nach 20 Minuten an die nächstgrößere Schanze. Alles scheint von alleine zu gehen, weil die steile Landezone und die Federung den Sprung abfangen. Ich steigere mich von Level zu Level. Innerhalb von nur einer Stunde springe ich schon recht routiniert über die zweitgrößte, knapp zwei Meter hohe Schanze. Mein Ziel, der Sprung über die Almhütte, scheint greifbar nah.

Ohne groß nachzudenken, nehme ich deshalb den Endgegner der Training Area, eine große Holzrampe, die allerdings eine leichte Kurve vollführt, in den Blick. Ich fahre drauf zu, die Räder rattern über die Holzlatten. Wofür wohl die Kurve da ist, frage ich mich noch, aber da ist die Rampe schon zu Ende und ich fliege, aber nicht weit genug, knalle mit dem Fahrrad auf die Kante vor der Landezone und fliege erneut – über den Lenker. Hart lande ich auf Händen, Ellbogen und Brustkorb. Hat das jemand gesehen? Schnell stehe ich auf und fahre ins Tal, erst am Lift merke ich, wie scheißweh meine Handballen und Finger tun – und dass der Sattel des Fahrrads durch den Sturz abgerissen wurde. „Wie hast du das denn gemacht“, fragt der Mann in der Werkstatt. „Mir fehlte die Entschlossenheit und Körperspannung“, sage ich demütig.

Noch kann sich der Downhill-Mountainbiker entscheiden – zwischen insgesamt neun Strecken, die wie Skipisten blau, rot oder schwarz kodiert sind.Noch kann sich der Downhill-Mountainbiker entscheiden – zwischen insgesamt neun Strecken, die wie Skipisten blau, rot oder schwarz kodiert sind.

Die Bilanz unseres Autors am Ende des zweitägigen Abenteuers: zwei Stürze, mehrere kleine Cuts und Prellungen an Händen und Rippen. Und ganz viele Erinnerungen.Die Bilanz unseres Autors am Ende des zweitägigen Abenteuers: zwei Stürze, mehrere kleine Cuts und Prellungen an Händen und Rippen. Und ganz viele Erinnerungen.

In der TrainingArea kurz über der Talstation können sich Einsteiger von Schanzengröße zu Schanzengröße vortasten.In der TrainingArea kurz über der Talstation können sich Einsteiger von Schanzengröße zu Schanzengröße vortasten.

Nach dem Sturz fahre ich mit dem Laufband wieder nach oben. Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen. Durch meine weißen Fahrradhandschuhe sickert Blut. Soll ich es noch mal versuchen? Oben an den Schanzen treffe ich Raphael, Rastalocken, Rucksack und Rechen über der Schulter, der aussieht, als hätte sich ein Bilderbuchhirte in den Bikepark verirrt. Er ist Teil des Shaper-Teams, das sich im Bikepark darum kümmert, dass die Trails und Rampen gut in Form sind. Ich frage ihn, was eigentlich seine Lieblingsstellen im Bikepark sind. Er redet nicht über krasse Drops oder Highspeedstrecken, sondern über Harmonie und Flow. „Es muss sich einfach richtig anfühlen.“

Um 13 Uhr reißt der Himmel auf. Wir fahren hoch in Richtung „Milky Way“. Die Demütigung des Sturzes beeinträchtigt mich spürbar. Krampfhaft versuche ich, mein Selbstbewusstsein mit kleinen Kickern aufzubauen, lege mich aber noch ein zweites Mal hin. Die Almhüttenschanze, die ich mir zum Ziel gesetzt habe, wird von der Verheißung zur Bedrohung. Wie kann man Angst noch mal besiegen? „Geschwindigkeit und Gelände“, mache ich mir klar. Niemand zwingt mich, dort runterzuspringen. Ich habe den Lenker in der Hand.

Auf der letzten Abfahrt schaue ich einigen Bikern zu, wie sie über die Hütte springen – mache selbst aber einen großen Bogen um das Hindernis. Es fühlt sich nicht wie eine Niederlage an. Ich fahre die Almwiesen und die S-Kurven durch den Wald, ohne Druck, mit der richtigen Geschwindigkeit, wie es der Berg und die Shaper vorgeben. Und für einen kurzen Moment werde ich dann noch mal eins mit dem Trail. Das ist wahrscheinlich genug. Beim Downhill-Biken, habe ich gelernt, geht es nicht um die Überwindung von Furcht, sondern um Harmonie und das Spiel mit dem Terrain. Das Ziel ist kein Ort, sondern ein Zustand.

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Der gebürtige Münchner hat einige seiner schönsten Tage im Schatten der Zillertaler, Ötztaler und Pitztaler Gipfel verlebt. Gerade weil er seit 2012 im Ausland (nördlich der Donau) lebt, freut er sich, wenn er als Reporter in die Tiroler Alpen reisen kann. Denn: Oben ist es schöner als unten. 

Tobias Moorstedt
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