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In Schreibstube und Skiwerkstatt

Aktualisiert am 27.10.2021 in Menschen, Fotos: Verena Kathrein

Postkartenrealität:
Christoph W. Bauer wuchs im Skiort Kirchberg auf. Die Touristen prägten den Ort und bestimmten den Rhythmus des Lebens.
Postkartenrealität: Christoph W. Bauer wuchs im Skiort Kirchberg auf. Die Touristen prägten den Ort und bestimmten den Rhythmus des Lebens.

Der Lyriker Christoph W. Bauer wuchs im Skiort Kirchberg auf und lernte von isländischen Touristen die nordische Sagenwelt kennen. Heute ist Bauer einer der bedeutendsten Tiroler Schriftsteller. Hier erzählt er, was Dichten und Skifahren gemeinsam haben – und wie er das moderne Tirol erlebt.

Ort der Handlung: zwei Innsbrucker Cafés. Christoph W. Bauer, 52 Jahre alt, kommt gerade vom Zahnarzt. Und ist trotzdem bester Laune. Noch vor der ersten Frage und dem ersten Glas Sauvignon blanc sind der Autor und sein Gesprächspartner per Du.

Das erste Gedicht, das ich von dir gelesen habe, beginnt mit: „hörst du la montanara die berge sie / grüßten uns vom kinderzimmer aus“. Geht es da um deine eigene Kindheit?

„La Montanara“, „Das Lied der Berge“, habe ich damals wirklich oft gehört. Ich bin in einer Tourismushochburg, in Kirchberg, groß geworden. Am Gaisberg gleich nebenan fand fast jedes Wochenende ein Rennen statt. Und ich selbst war natürlich auch im Skiclub und bin immer wieder Rennen gefahren. Dieser Sport wurde von uns unglaublich überhöht: Was die Skifahrer alles können! Am Ende des Gedichts kippt das dann aber. Die letzten Zeilen heißen: „hörst du la montanara die berge sie / wachsen als steine uns in den schuh“.

Das Postkarten-Tirol hat dich dein Leben lang begleitet.

Es gab dieses Idyll, das sich am Postkartenständer dreht. Wie die Jahreszeiten. Außerhalb der Saison verfiel Kirchberg in einen Tiefschlaf, und wenn der Baulärm begann, rüstete man sich für die neue Saison.

Was hat dir als Kind besser gefallen? Die Ruhephasen oder die Hochsaison?

Als Teenager fand ich den Tiefschlaf furchtbar. Zumindest waren in der Saison die Bars und Discos voll. Ich habe wesentlich mehr Winter- als Sommerbilder aus meiner Kindheit und Jugend im Kopf. Das ist einfach so. Im Winter war endlich Abwechslung im Dorfleben.

Christoph W. Bauer

Christoph W. Bauer wurde 1968 in Kärnten geboren. Er wuchs in Kirchberg in Tirol auf und lebt heute in Innsbruck. Bauer hat Lyrikbände, Romane, Hörspiele, Theaterstücke und ein Jugendbuch verfasst. In mehreren Büchern beschäftigt er sich mit weitgehend unbekannten Aspekten der Geschichte Tirols. Für seine Werke erhielt Bauer den Ingeborg-Bachmann-Preis und viele weitere Auszeichnungen.

Christoph W. BauerChristoph W. Bauer

In den meisten Gegenden verbindet man Winter mit Ruhe und Besinnung.

Bei uns war es andersrum. Im Winter herrscht in den Skisportorten das pralle Leben.

Und was hast du in den langweiligeren Phasen gemacht? Viel gelesen?

Ich hatte das Glück, in einem Elternhaus aufzuwachsen, in dem Bücher keine Fremdkörper waren. Meine Eltern haben selbst viel gelesen. Den ersten Solschenizyn habe ich in ihrem Bücherregal entdeckt. Es gab keinen Geburtstag und kein Weihnachten, an denen ich nicht mindestens zwei, drei Bücher geschenkt bekam. Aber eigentlich bin ich über die Musik zur Literatur gekommen. Über Songtexte von Bands, die mich faszinierten: The Clash, die Ramones, Die Toten Hosen und so weiter. Damit habe ich einen Weg gefunden, dem ganzen Alltag irgendwie zu trotzen. Die gleiche Methode habe ich später auch angewandt, als mir der Tourismus zu viel wurde – obwohl ich ja selbst in einem Ski- und Snowboardverleih arbeitete. Mit Büchern und Schallplatten bin ich auf Abstand zu dieser Welt gegangen.

Kannst du dich noch an das Aufkommen der Snowboard- Szene erinnern?

Anfang der 1990er-Jahre kam mit den Snowboardern eine andere Musik und ein anderes Flair in unser Dorf. Mir hat das unglaublich viel Spaß gemacht. Dieses Lebensgefühl. Damals hatten wir sehr viele Australier in Kirchberg, die dann eben auch ihren eigenen Sound mitbrachten. Von diesen Leuten habe ich viel gelernt. Ich erinnere mich auch an eine Gruppe von Skifahrern, unter ihnen auch einige Musiker, die aus Island kamen. Für mich waren sie extrem interessant, zumal mich schon damals die altnordische Literatur mit ihren Sagas faszinierte.

Hast du selbst auch viel Wintersport gemacht?

Saisonarbeit ist unheimlich anstrengend. Man arbeitet fast durchgehend. Ich hatte dann keine Lust mehr, noch selber auf den Berg zu gehen. Mit Mitte 20 habe ich schon sehr viel geschrieben. Nach der Arbeit wollte ich noch unbedingt ein Sonett verfassen, eine Ballade oder Sestine. Ja nicht aus der Übung kommen!

Und welche Autoren hast du gelesen?

Es gab verschiedene Phasen: Auf die Hesse-Phase folgte Kafka, dann Handke. In der Lyrik war für mich Erich Fried sehr wichtig. Damals eine sehr bedeutende Persönlichkeit, auch aufgrund seines Engagements in der Friedensbewegung. Dann Celan, Bachmann, Benn. Im Laufe der Zeit habe ich mich immer mehr zu Brecht hin orientiert. Zum Erzählerischen, zum Politischen und Alltagssprachlichen.

Gab es in der Region eine Literaturszene?

Eine Szene nicht, aber einen sehr guten Freund, der später bildender Künstler wurde. Mit dem habe ich mich ausgetauscht, wir haben uns gegenseitig Bücher ausgeliehen. Aber sonst wusste keiner, dass ich schreibe. Das fand im Geheimen statt. Ich habe immer mit der Hand geschrieben. Mir war es wichtig, den Texten eine Struktur zu geben. Deshalb habe ich einen karierten Block gekauft und jedes Kästchen exakt mit einem Buchstaben gefüllt. Das rhythmische Element und die Zeilenumbrüche waren total wichtig für mich.

Dichten als Handwerk?

Ja, das hatte natürlich auch etwas Streberhaftes. Es war wie beim Musikunterricht wichtig, sich die Technik anzueignen. Oder wie beim Skitraining im Club. Man muss sich eben anschauen, wie die anderen das machen. Und ich wollte das einfach können.

Wie heißt es so schön in einem deiner Gedichte: „federers rückhand / so müßte man schreiben können“.

Schreiben beruht stark auf dem richtigen Training.

Hast du für das Training auch Literatur studiert?

Ich schrieb mich in Musikwissenschaften und Germanistik ein, habe aber bald abgebrochen, weil ich schreiben wollte. 1999 wurde mein erster Gedichtband „Wege verzweigt“ veröffentlicht. Bei der Präsentation in Innsbruck kam dann der bekannte Lyriker Raoul Schrott auf mich zu und sagte: „Gut gemacht.“ Und natürlich hat mir das sehr geschmeichelt. Aber mit Gedichten wirst du nicht berühmt. Ob ich Anklang finde oder nicht, war mir eigentlich immer egal. Gedichte zu schreiben, ist eben mein Lebensmodell, meine Sichtweise.

Zu der Zeit hast du im Winter auch noch Feriengästen die Skibindung angepasst. Was hast du im Sommer gemacht?

Man hat im Winter ganz gut verdient. Es hat auf jeden Fall gereicht, um durch das Jahr zu kommen, wenn man keine großen Ansprüche hatte. Kein Urlaub, kein Auto, nur die Basics.

Im Winter hast du demnach nicht geschrieben?

Ich habe es versucht, aber es kam selten etwas Gutes dabei raus. Und es war auch interessanter auszugehen.

In deinen Büchern beschäftigst du dich nicht nur mit den schönen Seiten deiner Heimat: In deinem Roman „Niemandskinder“ und anderen Büchern hast du auch über den Faschismus in Tirol geschrieben und die Nachkriegszeit.

Diese Geschichten wurden ja bis in die Gegenwart hinein übertüncht. Das war zu meiner Zeit kein Schulstoff. Man hat den Nationalsozialismus immer auf die Großen reduziert: Hitler, Himmler, Göring, Goebbels. Als ob hier nichts passiert wäre. Ich habe das dann recherchiert, Interviews mit Zeitzeugen geführt. Mir war das ein wichtiges Anliegen.

In deinem Buch „Im Alphabet der Häuser“ erzählst du, was damals in Innsbruck geschah.

Ja, ich wollte die Geschichten nicht aus der Perspektive von Menschen, sondern aus der von Häusern erzählen. Welche Geschichten trugen sich in ihnen zu? 1938 hat man alles arisiert, was man konnte.

Du beschreibst auch, wie stark Innsbruck stets von Migranten geprägt war. Hier an der Kreuzung der Handelsrouten.

Mittelalterliche Städte wuchsen durch Zuzug: Die Buchhändler kamen aus Augsburg, die Baumeister aus Memmingen. Sie haben die Stadt geprägt. Die Innsbrucker Altstadt ist ohne die Familie Türing, die keine gebürtigen Innsbrucker waren, undenkbar. Man war auf Zugezogene angewiesen. Migration gab es schon immer.

Ich möchte noch einmal ein Gedicht von dir vorlesen: „erklär mir keiner das landleben / stacheldrahtzäune gab es und / bauern auf der jagd nach fußbällen / unter den reifen ihrer traktoren / zerplatzen träume …“ . Das Landleben besteht in deinen Texten nicht nur aus friedlich kauenden Kühen.

Ich finde Nostalgie furchtbar – und Zirbenstuben richtig beklemmend. Es behagt mir nicht, wenn man immer sagt: So ist das eben bei uns und so muss es bleiben. Ich glaube, dass diese Heimatklischees vermutlich gerade deshalb so stark betont werden, weil sie oft nur noch reine Fiktion sind. Natürlich gibt es Gemeinden, wo es noch recht ursprünglich zugeht. Aber Tirol sieht heute doch ganz anders aus. Auch eine Stadt wie Innsbruck wurde ja durch die Universität verändert. Heute bringen die Studierenden aus vielen Ländern ihre eigenen Ideenwelten mit, und davon profitieren wir enorm.

Ist dir der Kontakt zur Jugend und zu Nachwuchsautoren wichtig?

Ich veranstalte regelmäßig Workshops an Schulen. Da reden wir dann auch viel über Musik. In meinen Workshops übersetzen wir auch oft Songtexte aus dem Englischen. Das ist meist der Einstieg ins Gespräch. Wir lernen, wie hart der Job eines Rappers ist. Wie an jeder Silbe gefeilt werden muss. Wie wichtig die Rhythmik ist. Und wie viel Freude Sprache bereiten kann. Ich konfrontiere die Schüler anschließend gern mit Zeilen aus der Antike. Wenn sie spüren, dass in diesen uralten Texten von Catull oder Sappho ein Lebensgefühl mitschwingt, das wir auch heute noch kennen, hat das eine unheimlich starke Wirkung.

Je öfter Gero Günther nach Tirol fährt, desto mehr ziehen  ihn das Bundesland und seine illustren Bewohner in seinen Bann. Dabei schaut sich der Journalist und Autor genauso gern in Buchhandlungen, Cafés und Ateliers um wie in einsamen Seitentälern, auf Almweiden oder in Kuhställen.

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